Dichter in Dünen lll : Sansibar erforschen
Auf Sylt wirkt alles nah, die Wolken, die man meilenweit entfernt sieht, sind schon wenige Minuten später über einem, der Leuchtturm, den man in weiter Ferne wähnt, ist, wenn man Rad fährt, bald erreicht. Und auch die Prominenten sind auf Sylt viel näher, zumindest heißt es das, besonders in der weltberühmten Sansibar.
Ich habe das Wort Sansibar immer geliebt – wahrscheinlich, weil meine alte italienische Kaffeekanne so hieß. Aber Sansibar auf Sylt? Gut, auch beim Mondsee in Oberösterreich (oder Salzburg?) gibt es einen kleinen Ort namens Schwarzindien, und ich weiß noch immer nicht, wie es dazu gekommen ist. Um es gleich zu sagen, die Sansibar hat mich enttäuscht. Zwei große Parkplätze mit protzigen Autos gefüllt, Mercedes stellt dort seine neuesten Erlenkönigveteranen aus. Und dann die Sansibar selbst. Ein riesiger, mit Geschrei gefüllter Kinderspielplatz. Daneben ein weiteres Mercedes-Vorführmodell in den Dünen. Wer sich so etwas ausdenkt? Zuerst glaubte ich, an eine falsche Sansibar geraten zu sein, es wo anders noch eine zweite, eine richtige geben müsse. Nein, wurde ich belehrt, es gibt nur die. Und bis Ende Oktober ist alles ausgebucht – wir finden dennoch einen Platz in dieser Nobelhütte – nirgendwo passt der Begriff besser als hier. Sie hat das Flair einer Autobahnraststation mit einer Mischung aus Neckermann-Touristen und tief gebräunten 80-jährigen Bluthochdruckpatienten, die ihre Möchtegern-It-Girls ausführen. Vollbusige, leicht gespritzte Damen mit aufgespritzten Lippen, goldenen Ohrringen und falschen Leopardenschals, die Sätze sagen wie: „Ha-noi, schön sahnig ist das Eis“ oder „Jetzt haben wir gut Zeit gemacht“. Wie macht man Zeit? Die Sansibar macht Geld. Man hat das Gefühl, in eine Merchandising-Hölle geraten zu sein, in einen Sylter Disney-Store. Ein dicker schwarzer Katalog liegt auf jedem Tisch wie das Gesangsbuch in der Kirche, bewirbt sündteure Sansibar-Produkte: Schmuck, Kleidung, Decken, Weine, Essig und Öl, eine Gewürzmischung für die Sansibar-Curry-Wurst. Und auch der Gründer und Obersansibare ist darin zu sehen, Herbert Seckler. Wie der Bulle von Sülz, nein Sylt, sieht der aus, oder wie die schwäbische Dame mit dem falschen Leopardenschal meint: Der isch auch gut beinand.
Jedenfalls macht er seinem Namen alle Ehre, einer der die Säckel füllt. Ich glaube ja, dass die Leute bewusst oder unbewusst das leben, was in ihrem Namen steckt. Egon Schiele malt und Bertha Knienieder wird Fußpflegerin, Jörg Haider macht politische Heuhaufen und Hermann Maier ist der Hermano Mayor, der große Bruder der österreichischen Schination. Einen Zufall gibt es nicht. Hermann Göring, das nur nebenbei, dessen zweite Frau ein Haus auf Sylt besaß, hat übrigens einmal gesagt, „wenn jemals Bomben auf Berlin fallen, will ich Hermann Meier heißen.“
Die Weinkarte der Sansibar ist telefonbuchdick, das Personal nicht unfreundlich. Ich entscheide mich für Curry-Wurst, weil mir die bei jedem Flug mit Air Berlin entgegenlacht. Und die Prominenten? Ist das da drüben nicht die Barbara Becker? Aber ist die prominent? Und der dort hinten könnte Uwe Seeler sein? Nein, so sehen in Norddeutschland fast alle aus. Und der da? Das ist dieser Fernsehmensch, wie heißt der gleich? Beckmann? Kerner? Jauch? Nein, dieser Lachaffe von RTL. Nein, doch nicht. Da klopft mir jemand auf die Schulter, sagt: „Schau, da sitzt ja unser Dichterfürst. Herr Franzobel, wären Sie so nett, ein Autogramm, Buch hab ich keines dabei, vielleicht in so einen Sansibar-Katalog ?“ „Auf keinen Fall, wenn, dann nur auf eine Serviette – wie der Picasso.“ „Danke. Schönen Tag noch. Angenehmen Aufenthalt.“
Da kommt der Dame vom Nachbartisch fast das Sahneeis bei den Augen raus. Ha-noi, wer isch jetzt des? Kurz überlegt Sie, ob Sie auch ein Autogramm erbitten soll. Dann photographiert sie mich ganz unauffällig, vielleicht weiß ja eine ihrer Freundinnen daheim in Schwaben, wer ich bin. Ha-noi, noch nie gesehen.
Dann kommt die Currywurst. Ahoi. Ein vernobeltes, aufgemotztes Junkfood, aber leidlich delikat. Im Katalog finde ich ein altes Foto aus den 70ern, damals war alles uriger, kein Kinderspielplatz, keine Bustouristen, keine Mercedesfahnen, damals muss die Sansibar geil gewesen sein, mit fetziger Musik, vielen jungen, halbnackten Menschen – und kein Konzern, der zu erfolgreich und über sich selbst hinausgewachsen ist, sich ausbreitet, einem auf Sylt und Trift so nahe kommt, dass man sich nur eines wünscht: Abstand! FRANZOBEL