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Dialektisches vom Rotblonden

Boris Becker ist trotz seines frühen Ausscheidens bei den Stuttgarter Classics wohlauf  ■ Aus Stuttgart Peter Unfried

Alles ist gut. Boris Becker, 24 Jahre, und 32maliger Turniersieger auf allen Tenniskontinenten seit 1985, ist wohlauf. „Meine Form ist gut, ich bin körperlich fit“, sagt er. Oder auch: „Ich bin körperlich nicht verletzt, nur müde.“ Oder aber: „Ich bin im Moment nicht topfit, also ich bin körperlich schon topfit.“ Kurzum, der erratische Tennisvordenker ist dabei, neue Berge des Dialektischen zu erklimmen.

Nicht mehr in Stuttgart allerdings. Bei Ion Tiriacs Classics mußte sich der tennisspielende Philosoph bereits am Donnerstag abend im Achtelfinale gegen den Niederländer Jan Siemerink verabschieden (3:6, 4:6). Der Grund: „Ein paar Stunden zu viel Tennis.“ Die kräftezehrenden Spiele gegen die „Nummern zwei und eins“ in Brüssel letzte Woche sollen's gewesen sein. Boris war müde, als er am Dienstag nachmittag vor der Schleyerhalle einer schwarzen Limousine entstieg, und er blieb es bis zum schnellen Abschied. Mit hängenden Schultern schleppte er sich bereits im Erstrundenmatch gegen den Schweden Jonas Svensson von Pause zu Pause, und nur mit Hilfe des Publikums, das den Langersehnten mit aller ihm gegebenen Liebe umsorgte, war ihm bei 4:6, 1:4 und Breakball gegen sich einer seiner berüchtigten trick escapes gelungen. „Boris, wir lieben dich“, hatte da in verzweifelter Lage eine helle Knabenstimme die bange Stille durchbrochen, und der Geliebte hatte sich in Richtung des Rufers gedreht und zwei, drei, vier Sekunden in die Ränge geschaut, als wolle er sagen: Ihr seid alle Babsen für mich!

Aber: Die Heimat hat auch ihre Nachteile, es spielen sich beatlemaniaske Szenen ab, wenn der Rotblonde nur versucht, mit ins Gesicht gezogener Mütze und Sonnenbrille den Trainingscourt zu betreten, und die totale Anteilnahme wird spätestens dann zur Zumutung, wenn 8.000 Leute einen Doppelfehler als persönliche Beleidigung empfinden. Boris sieht das auch so: „Es ist viel härter für mich, (in Deutschland) zu spielen“ (Mittwoch) oder auch nicht: „Der Druck ist nicht viel größer“ (Donnerstag). Insgesamt hat Boris auch in dieser Frage ambivalente Gefühle: „Es war nicht so schlecht, aber es war nicht sehr gut auch“, sagt er und verpaßt den Schwarzrotgüldenen hierzulande mit seinem deutsch- amerikanischen Kauderwelsch gleich noch einen zusätzlichen Stich ins Herz. Nach Stuttgart dürfte der Monegasse sowieso nur dem transsilvanischen Schnauzbart Tiriac zuliebe gekommen sein, doch den Hamburger Rothenbaum im Mai wird er wohl sausen lassen. Auf diese Weise werden ihn die Germanen frühestens zum Jahresende bei den „big spender“-Turnieren in Frankfurt (ATP) und München (ITF) wiedersehen. Falls er kommt. „Ich hab' jetzt ein paar Tage frei.“ Da kann Boris Babsi sehen oder einen Friseur, wird „um 12 ins Bett gehen“ und ansonsten „einen normalen Lebenswandel haben“. Nächste Woche geht's nach Rotterdam, „und den Rest muß ich mir noch überlegen“. Das hört sich an, als wolle er Key Biscayne Anfang März möglicherweise ausfallen lassen. Irgendwann muß er aber auch noch mit Stichs Michi das olympische Doppel testen. „Ich hoffe, daß wir in Key Biscayne spielen.“ Also doch? Oder noch lieber mal wieder mit Steffi? „Die spielt so selten bei Herrenturnieren mit!“ Alles ist gut, Boris Becker, 24 Jahre, ist wohlauf.

Philadelphia, Männer, Achtelfinale: Mansdorf (IL) - Stich (BRD) 7:6, 7:5; Sampras (USA) - Pescosolido (I) 7:6, 4:6, 6:4; Gilbert (USA) - Laurendeau (K) 6:4, 6:3; Krickstein (USA) - Gilbert (F) 3:6, 7:6, 7:5; Grabb (USA) - Woodbridge (AUS) 7:6, 6:4

Oklahoma, Frauen, 2. Runde: Garrison (USA) - Hiraki (J) 6:2, 6:1; Fernandez (USA) - White (USA) 7:6, 6:1; McNeil (USA) - Reinach (ZA) 6:4, 6:2; Frazier (USA) - Allen (USA) 6:4, 6:0; Provis (AUS) - Godridge (AUS) 6:1, 6:0

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