Deutschtürke stirbt in Polizeigewahrsam: Verdacht auf lagebedingtes Ersticken
Vielleicht ist Adem Özdamar durch seine Behandlung im Polizeirevier von Hagen erstickt worden. Doch gegen Beamte würde kaum ermittelt, sagt die Familie des Toten.
Im Fall des im Polizeigewahrsam tödlich verletzten Deutschtürken Adem Özdamar erheben Anwälte und die Familie des Toten neue schwere Vorwürfe gegen Polizei und Untersuchungsbehörden. "Die Ermittlungen der Hagener Staatsanwaltschaft waren von Beginn an völlig einseitig", sagte der Frankfurter Anwalt der Familie, Adam Rosenberg, der taz.
So hätten sich die Untersuchungen nicht auf die beteiligten Polizisten konzentriert. Stattdessen wurde Özdamars Wohnung durchsucht. "Die Ermittlungen richteten sich von Anfang an nur gegen meinen Mandanten", sagt Rosenberg. "Das riecht nach Kameraderie zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft."
Anwälte und Familie vermuten, Özdamar könne schon am 17. Februar auf der Polizeiwache in der Hagener Prentzelstraße erstickt sein. Zuvor hatte er sich - wohl unter Kokaineinfluss - verfolgt gefühlt und deshalb selbst die Polizei gerufen. Auf der Wache sei Özdamar dann "durchgedreht", habe einen Polizisten am Finger verletzt, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Hagen, Reinhard Rolfes. Özdamar sei daraufhin von mindestens sieben Polizisten gewaltsam an Händen und Füßen gefesselt und mit dem Bauch nach unten auf eine Trage gebunden worden. Geholfen hätten auch zwei herbeigerufene Rettungssanitäter.
Dabei setzten die Polizisten massive Gewalt ein. "Mir liegt ein radiologisches Gutachten vor, nach dem Herrn Özdamar das Nasenbein gebrochen wurde", sagt der Hagener Anwalt der Familie, Jürgen Klenk. Trotz Wiederbelebungsversuchen fiel Özdamar in ein Koma, aus dem er nie wieder erwachte: Der 26-Jährige starb nach einem ersten Bericht der Gerichtsmedizin am 5. März an einem Gehirnödem.
Unseriös sei dieser vorläufige Bericht, hält Anwalt Rosenberg dagegen. "Untersucht wurde lediglich Gewalteinwirkung von außen, nicht aber Ersticken." Auch der Bruder des Toten, Salih Özdamar, weist seit Beginn der Untersuchungen darauf hin, dass es drei Minuten gedauert habe, bis die als Fesseln dienenden Kabelbinder gelöst werden konnten - erst danach konnte eine Notärztin mit der Reanimation beginnen.
Jurist Rosenberg geht davon aus, dass Özdamar Opfer des sogenannten lagebedingten Erstickungstods wurde, vor dem Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl bereits seit Jahren warnen: Erhöhte Adrenalinausschüttung im Gehirn, etwa durch einen vorausgegangenen Kampf, führt zu einem erhöhten Sauerstoffbedarf. Dieser kann jedoch wegen der Bauchlage des Festgenommenen nicht gestillt werden. Der Gefesselte wehrt sich immer stärker, kämpft um Luft zum Leben - und nicht gegen die Polizisten, die immer fester zudrücken.
Opfer dieser lagebedingten Erstickung wurde etwa der sudanesische Abschiebehäftling Aamir Ageeb, der 1999 beim Start eines Lufthansa-Flugs mit einem Motorradhelm auf dem Kopf von drei Bundesgrenzschutzbeamten zu Tode gepresst wurde. Ein Merkblatt der nordrhein-westfälischen Polizei warnt deshalb ausdrücklich vor dem lagebedingten Erstickungstod. Der sei ein "absolut bekanntes Phänomen", das auch im Fall Özdamar untersucht werden müsse, so der Chef des rechtsmedizinischen Instituts der Universität Bonn, Burkhard Madea, gegenüber der Frankfurter Rundschau.
Özdamars Familie hofft deshalb weiter auf die Ergebnisse einer rechtsmedizinischen Untersuchung in der Türkei. Dort ist der Tote mittlerweile obduziert worden, wie eine Sprecherin des Justizministeriums in Ankara bestätigt. Ergebnisse liegen noch nicht vor.
Özdamars Gehirn können die türkischen Rechtsmediziner nicht untersuchen. Die Hagener Staatsanwälte haben das Organ für weitere Untersuchungen entnehmen lassen. Die Familie des Toten wurde darüber nicht informiert - "aus Pietätsgründen", wie Oberstaatsanwalt Rolfes sagt. Für den Ermittler steht eines ohnehin schon fest: "Özdamar ist nicht erstickt. Es waren doch zwei Rettungssanitäter dort."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“