Deutschlands schlechtester Fußballclub: Torverhältnis 2 zu 246
Zwei Tore haben sie geschossen, 246 Treffer kassiert. Im letzten Spiel wollen die Stubersheimer den ersten Punkt der Saison holen.
Manfred Nipp läuft angespannt die Seitenlinie auf und ab. "Mach mal Musik im Strafraum, Alexis", raunzt er einen desorientierten Stürmer an. Es steht noch 0:0. Manfred Nipp glaubt daran, dass es diesmal klappen könnte mit dem ersten Erfolgserlebnis für den SSC Stubersheim. Doch dann fällt das Null zu eins und bald wird klar: ein Tor ist auch diesmal nicht drin.
Manfred Nipp ist in etwa so groß wie die Eckfahnen am Stubersheimer Sportplatz, aufgrund eines Augenleidens trägt er meist eine Sonnenbrille. Nipp ist Vereinspräsident und "Macher" des SSC Stubersheim. Vor elf Jahren, etwa zu der Zeit, als Harald Schmidt über die "Dicken Kinder von Landau" herzog, hat er den Verein gegründet, weil er fand, dass sich die Dorfkinder mehr bewegen müssten. Es lief gut, mittlerweile hat der Verein 420 Mitglieder, mehr als das kleine Dorf der Gemeinde Amstetten im Ulmer Landkreis Einwohner hat. Tendenz steigend. Denn seit dieser Saison gibt es in Stubersheim neben den Mädchen- und Jugendmannschaften auch eine Fußballmannschaft der Herren. "Die Jungs haben mich angesprochen und dann haben wir die Mannschaft auf die Beine gestellt", sagt Nipp. Ausnahmslos alle Spieler haben nach langer Pause wieder angefangen, manche haben noch nie Fußball im Verein gespielt.
In den ersten Spielen der Kreisliga B kassieren die Stubersheimer eine zweistellige Klatsche nach der anderen - und es gelingt ihnen kein einziger Treffer. Doch die Mannschaft ist tapfer, niemand denkt daran aufzugeben. So viel Sportsgeist wird belohnt. Der SSC Stubersheim bekommt Unterstützung von einem lokalen Radiosender. Chefreporter Thomas Ultsch ruft die Kampagne "Ein Tor für Stubersheim" ins Leben, und schon bald kennt jeder in der Region den Klub aus dem kleinen Dorf. Im letzten Heimspiel vor der Winterpause belagern knapp 700 Zuschauer den Sportplatz des SSC, der oberhalb der Scheunen und Fachwerkhäuser auf einem kleinen Hügel liegt. Die Neo-Fans wollen die Mannschaft zum ersehnten ersten Tor schreien. Eine Gruppe Cheerleader tanzt in der dichtgedrängten Menge, die Lieblingslieder der Spieler dröhnen zur Motivation aus den Boxen, es gibt Freibier und sogar kleine Fanchoreografien. Doch alle Mühen nutzen nichts. Das Torverhältnis bis zur Winterpause: 0:153.
Aber die Fans kommen wieder - und werden auf eine lange Geduldsprobe gestellt. Erst am 22. Spieltag im Spiel gegen den SV Weidenstetten ist es so weit. In der zweiten Hälfte, beim Stand von 0:6, setzt sich Stubersheims linker Flügelläufer durch, plötzlich sind die 310 Zuschauer hellwach, die Flanke erreicht in der Mitte Stürmer Christoph Staudinger und der zimmert den Ball unter die Latte ins Tor. "Ein sehr würdiges erstes Saisontor", schwärmt Manfred Nipp. Die Spieler nehmen es gelassen. Keine Jubeltraube, der Torschütze wird nach dem Spiel auch nicht auf Händen durchs Dorf getragen, nicht mal einen Kommentar möchte er abgeben. Trotzdem ist eine Befreiung zu spüren. Die Null steht nicht mehr. "Wir haben uns stetig verbessert. Die Mannschaft ist trotz der Niederlagen immer motiviert und ehrgeizig geblieben", sagt Nipp. "Aber es war schon eine Belastung, dass dieses verflixte Tor nicht gefallen ist."
Am nächsten Spieltag, dem vorletzten der Saison, schafft die Mannschaft sogar den zweiten Treffer. Das Spiel geht 1:9 verloren. Was noch fehlt, ist ein Punkt. Im letzten Spiel gegen den TSV Herrlingen, eine Mannschaft aus dem unteren Tabellendrittel, soll es klappen. Doch selbst wenn nicht: Der Verein ist stolz. Mittlerweile kicken 40 Spieler in der Mannschaft, angefangen haben 16. Nächste Saison wird eine zweite Mannschaft an den Start gehen. Dass trotz der Erfolglosigkeit so viele Spieler neu zu der Mannschaft gestoßen sind, wundert in Stubersheim niemanden. "Die wissen, dass sie hier eine gute Betreuung kriegen", lobt Abteilungsleiter Wolfgang Schiller die Arbeit des Klubs. "Das ist ja keine Thekentruppe. Es geht uns schon um ernsthaften Fußball."
Doch auch der SSC Stubersheim ist nicht krisensicher. Der Klub muss sich zur neuen Saison bereits zum zweiten Mal einen neuen Trainer suchen. Schon nach der Hinrunde war Bernd Mühlhäuser entnervt gegangen, weil die Mannschaft seinen Erwartungen nicht gerecht wurde. Der neue Spielertrainer, Alexander Salaris, hörte im Radio von dem Klub. Er wollte schon aufhören Fußball zu spielen, doch aus Solidarität mit den Dauerverlierern zog er noch mal das Trikot über und übernahm den Trainerposten. Doch nun ist auch er weg. "Private Gründe"; sagt der frisch gekürte Pressesprecher Roberto Cataneo. "Es gab Ärger mit dem Verband", sagt Präsident Nipp. Der Umgang mit den Medien ist neu für den Verein. Auch die Spieler sprechen nicht über die verkorkste Saison.
"Nächstes Jahr wird es besser" ist der einzige Kommentar, der allseits zu hören ist. Daran glaubt jeder in Stubersheim. Frust ist trotz 246 Gegentoren nicht zu spüren. Die Motivation der Spieler, der Vereinsmitglieder und der Fans ist genauso ungebrochen wie der Glaube an den ersten Punktgewinn. Und wenn es im letzten Spiel am Sonnabend nicht mehr klappt, dann eben in der neuen Saison. Oder irgendwann anders.
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