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Deutschland und die KlimaflüchtlingeBis uns das Wasser bis zum Hals steht

Kommentar von Lilith Diringer

Ein Theaterstück, das sich erschreckend real anfühlt: Alsterwasser 2070 zeigt die dramatischen Folgen des Klimawandels – und stellt drängende Fragen.

Unsere Autorin fordert, dass Klimaschutz zur Priorität für die Bundestagswahl wird Foto: Luna Afra Evans

E s fühlt sich an wie ein Exit-Game, als ich in einer Runde von neun Personen am Entscheidungstisch stehe. Das Ganze ist ein Spiel – das Theaterstück „Alsterwasser 2070“ in Hamburg –, das sich ziemlich echt anfühlt. Als Gruppe sollen wir über zukunftsweisende Maßnahmen entscheiden. Eine davon betrifft die Unterstützung von Klimaflüchtlingen. Meine Nachbarin stutzt einen Moment.

„Klimaflüchtlinge? Den Begriff habe ich noch nie gehört“, sagt sie. Ich bin erstaunt über ihre Reaktion und suche nach einer passenden Erklärung. Laut Sachverständigenrat für Integration und Migration handelt es sich um Personen, die durch die klimatischen Veränderungen der Umwelt so sehr beeinflusst sind, dass sie ihre Heimat verlassen müssen.

In der Realität heißt das: Auf den Philippinen ist die Vertreibung von rund 5,44 Millionen Menschen schon jetzt auf Stürme und Fluten zurückzuführen. In Nigeria sind es rund 2,44 Millionen Menschen, die in andere Regionen umsiedeln mussten. Hochrechnungen sprechen von knapp 33 Millionen Vertriebenen weltweit aufgrund von Naturkatastrophen (Stand 2022).

Warum interessiert sich Deutschland so wenig für diese Menschen? Weil es sich meist um Binnenflüchtlinge handelt, die innerhalb ihres Landes umziehen, recht selten tatsächlich die Grenzen passieren und gen Europa wandern. Dabei hätten sie allen Grund dazu, denn während Entwicklungsländer besonders stark vom Klimawandel und dessen Folgen betroffen sind, stellen sie die geringsten Treibhausgas-Emittenten.

Deutsche Konzerne unter den zehn größten Umweltsündern

Panterjugend zur Bundestagswahl 2025

Dieser Text ist Teil des Projekts taz Panterjugend: 26 junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren, Nachwuchs-journalist:innen, -illustrator:innen und -fotograf:innen, kommen im Januar 2025 zu digitalen Seminaren zusammen und im Februar zu einer Projektwoche in die taz nach Berlin. Gemeinsam entwickeln sie zur Bundestagswahl Sonderseiten für die taz – ein Projekt der taz Panter Stiftung.

Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten erheblich zum globalen CO₂-Ausstoß beigetragen. Je­de:r Deutsche verantwortet im Jahr im Schnitt 8,5 Tonnen an CO₂ – das liegt über dem europäischen ebenso wie über dem chinesischen Durchschnittswert. Unter den zehn größten Umweltsündern in Europa befanden sich 2020 sechs deutsche Konzerne.

Während klimatische Veränderungen nicht als alleinige Ursache für Migration vereinfacht werden können, spielen sie aber eine nicht zu unterschätzende Rolle im Wirkungsgeflecht aus Konflikten, sozialen Strukturen und klimatischen Entwicklungen. Doch die Deutschen scheinen nicht zu merken, welchen destruktiven Einfluss sie auf Länder weltweit nehmen. Trotz rückläufiger Emissionen seit 1990 verfehlt Deutschland konsequent seine Klimaziele, und der Wandel erfolgt zu langsam. Auch in Industriestaaten sind die negativen Folgen des Klimawandels bereits spürbar.

Während ich in der Theatersimulation erschreckende Szenarien von Hochwasser in der Hamburger Hafencity sowie Dürren und Wasserknappheit in der Zukunft durchlebe, müssen wir nicht auf die Zukunft warten. Bereits heute lesen wir von Hochwassertoten in Deutschland, und es wundert uns nicht zu erfahren, dass über eine halbe Million Einwohnende innerhalb der USA aufgrund von klimatischen Veränderungen vertrieben wurden.

Was werden wir sagen, wenn diese Veränderungen zunehmen, wir wirklich von mühselig angesparten Lebensmittelgutscheinen leben müssen und Wassermangel sowie Lebensmittelknappheit, wie ich sie in der Simulation erlebe, Realität werden? Werden es dann wir sein, die sehnsüchtig an Grenzmauern warten, wenn es woanders zumindest noch eine Lebensgrundlage gibt?

Klimaschutz soll zur Priorität für die Bundestagswahl werden

Vielleicht wird uns dann bewusst, dass ein unsolidarisches Abschotten in einer Welt global zusammenhängender Nationalstaaten keinen Sinn ergibt. Grenzen können nicht bis in den Himmel gezogen werden und Abgase lassen sich nicht von Abschiebebescheiden beeindrucken.

Zurück zur Simulation „Alsterwasser 2070“. Dort finden wir schließlich einen Konsens. Wir entscheiden uns als Gruppe dazu, einen Teil der uns zur Verfügung stehenden Coins in die Unterstützung von Klimaflüchtlingen zu investieren. Meine Nachbarin ist weiter interessiert und ich unterhalte mich nach Ende der Veranstaltung noch etwas ausführlicher mit ihr.

Ich bin begeistert davon, dass nun eine Person mehr sich mit diesem komplexen Themenfeld auseinandersetzt. Denn letztendlich gilt: Es ist entscheidend, Klimaschutz zur Priorität für die Bundestagswahl 2025 und die kommende Regierung zu machen, um nicht noch mehr Lebensraum zu zerstören und Menschen ihre Heimat zu nehmen. Eine Strategie, die Migration und Klimawandel zusammendenkt und solidarische Lösungen fördert, ist längst überfällig.

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1 Kommentar

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  • Der Artikel ist von 2025 - eventuell sollte man dann schon auch die Zahlen nehmen die aktuell sind.



    Deutschland ist nicht vor China was das pro Kopf/co2 Budget betrift. Wir haben mit aktuell 7,16t weniger als China mit 8,35 (Zahlen aus 2023).



    Und bitte beachten sie die Bevölkerungszahl von China im Gegensatz zu Deutschland.



    Unsere Emmissionen haben sich - bei gleichbleibend starker Wirtschaft - in den Jahren 1990 bis 2023 nahezu halbiert! während China seinen Anteil vervierfacht hat. Eine starke Leistung die hier mit "verfehlt immer seine Ziele" beschrieben wird.

    Ich sehe in der Bevölkerungsexplosion (die aber immerhin geringer wird) ein viel größeres Problem - denn die Ernährung, Einkleidung und das "Leben" dieser vielen Menschen ist es was unseren Planeten an die Grenzen bringt.