■ Deutschland anonym: „Das macht keine Regung im erotischen Sinn“
Wie ist das, wenn man als Frauenarzt Tag für Tag Frauen die Brust abtastet und die Vagina befühlt?
Das ist für mich Alltag, ich gehe in meine Praxis und tue meine Arbeit, wie ich sie auch tun würde als Internist oder Chirurg.
Eine nackte Brust ist für Sie wie eine Milz oder eine geschwollene Leber?
Ja. Das ist so. Es gibt allerdings Konstellationen, vor denen ich mich ein bißchen hüten würde, wo ich möglichst sehe, daß es gar nicht zur Untersuchung kommt, sondern die Patientin zu einer Kollegin geht. Aber das ist die absolute Ausnahme, ansonsten ist es Routine. Ich untersuche im Monat 1.000 Frauen, da ist es in der Tat so, als wenn ich eine Lunge abhorche.
Sie registrieren nicht, ob eine Frau einen schönen Busen hat?
Natürlich kriege ich mit, wenn Frauen sonnengebräunt sind oder einen schönen Körper haben. Aber das macht keine Regung bei mir im erotischen Sinne. Das ist ganz anders, wenn ich im Schwimmbad bin oder draußen auf der Straße.
Sie nehmen das Äußere einer Patientin wahr, aber es ist Ihnen noch nie passiert, daß Sie das erregt hätte?
Nein, nicht mehr. In der Anfangszeit in der Ausbildung schon. Da war vieles befangener. Da kam man als junger Mann noch aus dem „normalen“ Leben, hatte gerade erste Erfahrungen mit Freundinnen gemacht, sonst noch nie eine nackte Frau berührt. Da kam ich nur schwer damit klar, da war mir das manchmal peinlich. Da bin ich schon aus einer Untersuchung herausgegangen und habe gemerkt, daß mich das erotisch angemacht hat. Aber das ging im Lauf der Zeit verloren.
Entwickelt man Techniken, Distanz zu schaffen?
Andere wurden Hals-Nasen-Ohren-Arzt oder Chirurg, er wurde Gynäkologe. Er hat sich den Beruf selbst ausgesucht, denn mit Frauen kam er schon immer gut klar. Der 40jährige Frauenarzt arbeitet heute in einer Gemeinschaftspraxis und behandelt im Monat 1.000 Frauen auf dem gynäkologischen Stuhl.
Sicher. Ich mache es zum Beispiel immer so, daß ich mit den Frauen rede, während ich sie untersuche, über Berufliches, über die Kinder oder das, was sonst ansteht. Es kommen auch viele Frauen mit Sexualproblemen in die Praxis. Die würde ich aber in der gleichen Sitzung nie gynäkologisch untersuchen. Das würde ich immer trennen.
Reden Sie mit männlichen Kollegen über das Thema?
Nee, da hält man sich sehr bedeckt. Ich habe Kollegen erlebt, die mit sehr unterschiedlichen Motiven in dieses Fach gegangen sind, da gab es einige, wo unter der Oberfläche Probleme offenkundig waren, Kollegen, die aggressiv und frauenverachtend mit den Patientinnen umgingen. Aber da war nie eine persönliche Ebene zu denen, so daß man das hätte ansprechen können.
Wenn Sie in der Praxis eine erotische Distanz zu Frauen aufbauen, was läuft da im Privatleben?
Ich weiß auch nicht recht, wie das funktioniert. Das ist schon merkwürdig, wie man die Kleider wechselt, wechselt man dann seine Identifikation. Manchmal denke ich, das ist schizophren. Da hat man den ganzen Tag mit nackten Frauen zu tun, und es passiert gar nichts. Dann komme ich abends nach Hause, bin völlig ausgebrannt und leer, und nach einer vernünftigen Distanz schlüpfe ich wieder in eine andere Haut und habe dann auch Lust, mit meiner Freundin zu schlafen.
Haben Sie umgekehrt jemals festgestellt, daß eine Patientin die Distanz nicht hatte und sexuell erregt war, während Sie sie anfaßten?
Niemals. Es gibt schon Frauen, die mal ein paar kesse Worte sagen. Aber ich habe kein einziges Mal, bei vielen tausend Frauen, das Gefühl gehabt, daß da eine sexuelle Empfindung gewesen wäre. Es gibt ja auch kaum eine unerotischere Situation, als auf dem gynäkologischen Stuhl zu liegen.
Interview: Vera Gaserow
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen