Deutschland-Chef von Standard & Poors: "Ratings sind Meinungsäußerungen"
Torsten Hinrichs, Deutschland-Chef von Standard & Poors, sagt: Die Hauptursache der Krise ist die Schuldenpolitik der Staaten. Und erklärt, wie Ratingagenturen Länderratings erstellen.
taz: Herr Hinrichs, Ratingagenturen haben momentan nicht den besten Ruf. Können Sie den Unmut nachvollziehen?
Torsten Hinrichs: Nein, überhaupt nicht. Wir geben eine Meinung ab zur künftigen Zahlungsfähigkeit von Schuldnern an den Kapitalmärkten. Und diese Meinung geben wir unabhängig von politischen Wünschen ab. Das macht uns im Augenblick bei manchen Politikern unbeliebt. Nicht wir sind schuld an den wirtschaftlichen Problemen. Die Versäumnisse hat die Politik in den jeweiligen Ländern zu verantworten.
Bundesfinanzminister Schäuble (CDU) ärgert sich über Ihre Fehleinschätzungen, etwa im Zusammenhang mit der Lehman-Bank, deren Pleite Sie nicht vorhergesehen haben.
Wenn wir in den letzten Jahrzehnten nicht durchweg gut gelegen hätten, dann würden wir heute auf den Märkten nicht so sehr berücksichtigt werden. Insoweit ist der Vorwurf nicht haltbar. Jedes Rating - auch ein einfaches A-Rating, wie Lehman es damals hatte - hat eine gewisse Ausfallwahrscheinlichkeit. Ratings stellen keine absolute Prognose von Ausfallwahrscheinlichkeiten in Prozenten dar. Bei einem hohen Rating ist ein Ausfall weniger wahrscheinlich als bei einem niedrigen. Aber auch die hoch bewerteten Ratings bergen ein gewisses Ausfallrisiko.
Ratingagenturen haben die Schuldenkrise vielleicht nicht verschuldet, aber doch zu einer Verschärfung beigetragen.
52, ist Deutschland-Chef der US-Rating-Agentur Standard & Poors (S&P) in Frankfurt. Sie ist die größte Rating-Agentur der Welt.
Ganz im Gegenteil: Wir haben bereits 2004 begonnen, Griechenland herabzustufen. Das hat zu dem Zeitpunkt nur niemand beeindruckt. Die Risikoprämien blieben weiterhin niedrig.
Aber ist es nachvollziehbar, ein Land wie Portugal nach undurchsichtigen Kriterien herabzustufen, das darum bemüht ist, den Haushalt zu sanieren?
Portugal wurde gerade von Moody's abgewertet, deswegen kann ich dazu gar nichts sagen. Was den Vorwurf der Intransparenz betrifft: Wir sind sehr transparent. Unser Kriterienkatalog ist für jeden auf unserer Website nachlesbar.
Wie erstellen Sie ein Rating?
Es gibt klare Kriterien, an die wir uns zu halten haben. Diese werden abgearbeitet. Die Antworten werden dann zu einem Rating zusammengefasst.
Wie viel Statistik ist dabei, wie viel persönliches Urteil?
Bei Länderratings sind ungefähr die Hälfte Kennzahlen, die andere Hälfte ist Bewertung. Ratings sind ja zukunftsgerichtete Einschätzungen. Unsere Analysten müssen heute Annahmen treffen über künftige Wirtschaftsfaktoren wie etwa Wachstum oder Arbeitslosigkeit. Und wie das bei Annahmen so ist: Wenn sie nicht eintreffen, müssen die Ergebnisse korrigiert werden. Damit Anleger sich ein eigenes Bild machen können, veröffentlichen wir immer, von welchen Annahmen wir ausgehen. Dazu kommt dann aber die Interpretation von Aspekten wie der politischen Situation und der Stabilität eines Landes. Ein Länderrating ist also mehr als nur ein Vergleich von Zahlen.
Stimmt es, dass für Länderratings häufig nur eine Person zuständig ist und ihr bloß ein Koanalyst zur Seite gestellt wird?
Wir haben natürlich einen Hauptverantwortlichen, und der wird unterstützt von einem weiteren Analysten. Gemeinsam erstellen sie anhand unserer festen Kriterien die Analyse. Dabei handelt es sich auch lediglich um einen Vorschlag, der dann einem Ratingkomitee unterbreitet wird. Dieses Komitee besteht aus einer Gruppe von sehr erfahrenen Analysten, die dann über das Rating nach ausführlicher Diskussion aller Details abstimmen.
Erfordern Länderratings aber nicht sehr umfangreiche Recherchen, die von wenigen Personen nur unzureichend geleistet werden können?
Sämtliche Zahlen sind ja verfügbar, in Europa zum Beispiel über Eurostat. Diese Zahlen werden ergänzt durch den Dialog mit den Finanzministerien.
Sie wollen sagen, dass die Finanzminister an ihren Ratings unmittelbar beteiligt sind?
Bei 90 Prozent unserer 127 Länderratings gibt es einen Dialog zwischen den Regierungen und unseren Analysten, also die Befragung der Verantwortlichen durch unsere Analysten.
Ist es dann nicht verlogen, wenn Schäuble sich aufregt?
Eine solche Bewertung überlasse ich Ihnen.
Im Zuge einer stärkeren Regulierung der Finanzmärkte wurde die Rolle der Ratingagenturen gestärkt. Haben Ratingagenturen nun zu viel Macht?
Schon als über Basel II noch diskutiert wurde, sprachen wir uns dagegen aus, unsere Ratings in solche Regelwerke aufzunehmen. Wir wollten das gar nicht.
Haben Sie sich gewehrt?
Wir haben zumindest deutlich gemacht, dass wir unabhängig bleiben wollen und für uns auch weiterhin die Meinungsfreiheit reklamieren.
Einige EU-Kommissare schlagen Ihre Zerschlagung vor.
Ein solches Szenario ist für mich schwer vorstellbar. Grundsätzlich begrüßen wir aber mehr Wettbewerb. Je mehr Meinungen den Investoren zur Verfügung stehen, desto solider wird die Investmententscheidung.
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