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Deutschland-Chef von Standard & Poors"Ratings sind Meinungsäußerungen"

Torsten Hinrichs, Deutschland-Chef von Standard & Poors, sagt: Die Hauptursache der Krise ist die Schuldenpolitik der Staaten. Und erklärt, wie Ratingagenturen Länderratings erstellen.

Daumen hoch, Daumen runter – Länder wie Griechenland, Irland und auch die USA bekommen gerade nicht so gute Noten. Bild: froodmat / photocase.com
Felix Lee
Interview von Felix Lee

taz: Herr Hinrichs, Ratingagenturen haben momentan nicht den besten Ruf. Können Sie den Unmut nachvollziehen?

Torsten Hinrichs: Nein, überhaupt nicht. Wir geben eine Meinung ab zur künftigen Zahlungsfähigkeit von Schuldnern an den Kapitalmärkten. Und diese Meinung geben wir unabhängig von politischen Wünschen ab. Das macht uns im Augenblick bei manchen Politikern unbeliebt. Nicht wir sind schuld an den wirtschaftlichen Problemen. Die Versäumnisse hat die Politik in den jeweiligen Ländern zu verantworten.

Bundesfinanzminister Schäuble (CDU) ärgert sich über Ihre Fehleinschätzungen, etwa im Zusammenhang mit der Lehman-Bank, deren Pleite Sie nicht vorhergesehen haben.

Wenn wir in den letzten Jahrzehnten nicht durchweg gut gelegen hätten, dann würden wir heute auf den Märkten nicht so sehr berücksichtigt werden. Insoweit ist der Vorwurf nicht haltbar. Jedes Rating - auch ein einfaches A-Rating, wie Lehman es damals hatte - hat eine gewisse Ausfallwahrscheinlichkeit. Ratings stellen keine absolute Prognose von Ausfallwahrscheinlichkeiten in Prozenten dar. Bei einem hohen Rating ist ein Ausfall weniger wahrscheinlich als bei einem niedrigen. Aber auch die hoch bewerteten Ratings bergen ein gewisses Ausfallrisiko.

Ratingagenturen haben die Schuldenkrise vielleicht nicht verschuldet, aber doch zu einer Verschärfung beigetragen.

Torsten Hinrichs

52, ist Deutschland-Chef der US-Rating-Agentur Standard & Poors (S&P) in Frankfurt. Sie ist die größte Rating-Agentur der Welt.

Ganz im Gegenteil: Wir haben bereits 2004 begonnen, Griechenland herabzustufen. Das hat zu dem Zeitpunkt nur niemand beeindruckt. Die Risikoprämien blieben weiterhin niedrig.

Aber ist es nachvollziehbar, ein Land wie Portugal nach undurchsichtigen Kriterien herabzustufen, das darum bemüht ist, den Haushalt zu sanieren?

Portugal wurde gerade von Moody's abgewertet, deswegen kann ich dazu gar nichts sagen. Was den Vorwurf der Intransparenz betrifft: Wir sind sehr transparent. Unser Kriterienkatalog ist für jeden auf unserer Website nachlesbar.

Wie erstellen Sie ein Rating?

Es gibt klare Kriterien, an die wir uns zu halten haben. Diese werden abgearbeitet. Die Antworten werden dann zu einem Rating zusammengefasst.

Wie viel Statistik ist dabei, wie viel persönliches Urteil?

Bei Länderratings sind ungefähr die Hälfte Kennzahlen, die andere Hälfte ist Bewertung. Ratings sind ja zukunftsgerichtete Einschätzungen. Unsere Analysten müssen heute Annahmen treffen über künftige Wirtschaftsfaktoren wie etwa Wachstum oder Arbeitslosigkeit. Und wie das bei Annahmen so ist: Wenn sie nicht eintreffen, müssen die Ergebnisse korrigiert werden. Damit Anleger sich ein eigenes Bild machen können, veröffentlichen wir immer, von welchen Annahmen wir ausgehen. Dazu kommt dann aber die Interpretation von Aspekten wie der politischen Situation und der Stabilität eines Landes. Ein Länderrating ist also mehr als nur ein Vergleich von Zahlen.

Stimmt es, dass für Länderratings häufig nur eine Person zuständig ist und ihr bloß ein Koanalyst zur Seite gestellt wird?

Wir haben natürlich einen Hauptverantwortlichen, und der wird unterstützt von einem weiteren Analysten. Gemeinsam erstellen sie anhand unserer festen Kriterien die Analyse. Dabei handelt es sich auch lediglich um einen Vorschlag, der dann einem Ratingkomitee unterbreitet wird. Dieses Komitee besteht aus einer Gruppe von sehr erfahrenen Analysten, die dann über das Rating nach ausführlicher Diskussion aller Details abstimmen.

Erfordern Länderratings aber nicht sehr umfangreiche Recherchen, die von wenigen Personen nur unzureichend geleistet werden können?

Sämtliche Zahlen sind ja verfügbar, in Europa zum Beispiel über Eurostat. Diese Zahlen werden ergänzt durch den Dialog mit den Finanzministerien.

Sie wollen sagen, dass die Finanzminister an ihren Ratings unmittelbar beteiligt sind?

Bei 90 Prozent unserer 127 Länderratings gibt es einen Dialog zwischen den Regierungen und unseren Analysten, also die Befragung der Verantwortlichen durch unsere Analysten.

Ist es dann nicht verlogen, wenn Schäuble sich aufregt?

Eine solche Bewertung überlasse ich Ihnen.

Im Zuge einer stärkeren Regulierung der Finanzmärkte wurde die Rolle der Ratingagenturen gestärkt. Haben Ratingagenturen nun zu viel Macht?

Schon als über Basel II noch diskutiert wurde, sprachen wir uns dagegen aus, unsere Ratings in solche Regelwerke aufzunehmen. Wir wollten das gar nicht.

Haben Sie sich gewehrt?

Wir haben zumindest deutlich gemacht, dass wir unabhängig bleiben wollen und für uns auch weiterhin die Meinungsfreiheit reklamieren.

Einige EU-Kommissare schlagen Ihre Zerschlagung vor.

Ein solches Szenario ist für mich schwer vorstellbar. Grundsätzlich begrüßen wir aber mehr Wettbewerb. Je mehr Meinungen den Investoren zur Verfügung stehen, desto solider wird die Investmententscheidung.

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11 Kommentare

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  • R
    runzbart

    wenn mal nur ratings erstellt würden...

    leider werden bzw sind sich die agenturen der tragweite ihrer entscheidungen mehr als bewusst und setzen dieses wissen auch ein.

     

    wie sonst ist zu erklären, dass moodys mit einer herabstufung der kreditwürdigkeit der usa droht, anstatt einfach nur anhand fester kriterien ratings zu erstellen?

    http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,766344,00.html

     

    mit einer drohung sind doch auch immer erwartungen verbunden.

  • HH
    Hardy Heron

    Ein interessantes Interview. „Stimmt es, dass für Länderratings häufig nur eine Person zuständig ist und ihr bloß ein Koanalyst zur Seite gestellt wird?“

     

    Und dieser kleine Kreis entscheidet und beeinflusst riesige Kapitalströme! Natürlich richten sich schon aus purer Gewohnheit die Investoren und ihre Helfer nach den „Bewertungs-Sternchen“ der Agenturen. Und wenn ich nun schon etwas früher weiß, was diese kleine Gruppe sagen wird, welch grandioser Wettbewerbsvorteil bei Anlagen in Milliardenhöhe. Ein Schuft, der Schlechtes dabei denkt! (Warren Buffet soll übrigens Großaktionär bei einer Ratingagentur sein – und daneben gibt es bestimmt noch einige andere Tiger)

     

    Nur schade, dass so schnell vergessen wurde, dass die Immobilienramsch-Pakete aus den USA damals mit der höchsten Bewertung versehen wurden. Dieser zugelassene Großbetrug hat die erste Finanzkrise mit verursacht. Wer kann denn nun ein Interesse haben, den Euro-Raum zu verunsichern, um von der eigene Misere abzulenken?

  • MI
    mündiger Investor

    @Claudia

    Volle Zustimmung zu Ihrem Kommentar.

    Ich frage mich immer, woher der Aberglaube kommt, dass die Investoren gezwungen würden, die Ratings der drei großen Agenturen zu berücksichtigen. Da bild ich mir doch zuerst mal selbst ne Meinung und schaue dann, was andere denken.

    Auch ins Reich der Märchen gehören die Aussagen vom Monopol. Es gibt weltweit hunderte Ratingagenturen. Nur hat es von denen keine geschafft, die Aufmerksamkeit der Investoren auf sich zu ziehen und so mit den großen Drei konkurrieren zu können. CreditReform in Deutschland z.B. würde sicher auch gern in einer höheren Liga mitspielen, hat es aber bisher nicht geschafft.

    In den Bereich Comedy würde ich den Vorschlag einer von der Politik geschaffenen Ratingagentur einordnen. Welcher halbwegs klar denkende Investor würde wohl von der Politik gesteuerte Gefälligkeitsratings ernst nehmen. So nach dem Motto: Griechenland steckt bis zum Hals in Schwierigkeiten, also geben wir denen mal ein AAA. Vielleicht findet sich ja ein Dummer, der dort investiert.

  • Z
    Zinstreiber

    Ratingagenturen haben nur einen Zweck:

     

    Sie sollen die Zinsen rauftreiben, die angeschlagene Länder für Staatsanleihen zu zahlen haben, ein Bombengeschäft.

     

    Heute läuft dieser Spruch durch sämtliche Medien, er trifft es:

     

    "Die Ratingagentur Moody's hat gerade ihre Bonitätsbewertung für den Planeten Erde auf Ramschniveau gesenkt. Die Immobilienblase platzt, als Ersatz für Euro, Dollar, Yen und Yuán wird Erdnußbutter als Ersatzwährung eingeführt. Schöne neue Welt!"

     

    So weit werden sie es bringen.

  • H
    hann0s

    "Wenn wir in den letzten Jahrzehnten nicht durchweg gut gelegen hätten, dann würden wir heute auf den Märkten nicht so sehr berücksichtigt werden."

     

    Bei solch einem erwiesenermaßen irrationalen und ausgesprochen blinden Markt wie dem Finanzmarkt ne ziemlich dämliche behauptung. Ansonsten haben sich die Rating-Agenturen mehrfach zu inhaltlichen Themen geäußert, sicher sind die Agenturen nich das größte, aber mit Sicherheit teil des Problems.

  • C
    claudia

    Die erste sachlich vernünftige Auseinandersetzung mit dem Thema Ratingagenturen, während in der gesamten Medienwelt Populismus nach dem Motto "Köpft den Überbringer der schlechten Nachricht!" herrscht.

    Und das ausgerechnet in der TAZ. Hut ab!

  • P
    P.Haller

    Was passiert denn, wenn fast alle Industrie-Staaten (alle anderen braucht man sowieso nicht berücksichtigen)auf Ramschniveau "gerated" werden ?

     

    Was machen denn dann bloss die Investoren ?

     

    Arbeiten gehen ? Sich den Strick geben ?

    Ich hoffe letzteres...

  • WW
    W. Wacker

    Man würde sich wirklich wünschen, dass die in diesem Interview genannten Fakten von Politikern, Journalisten, Moderatoren, etc. usw. verinnerlicht werden. Dann hätten wir viel weniger populistische Desinformation.

  • AH
    aber hallo!

    "Nein, überhaupt nicht. Wir geben eine Meinung ab zur künftigen Zahlungsfähigkeit von Schuldnern an den Kapitalmärkten."

     

    Schon dieser erste Satz schlaegt dem Fass den Boden aus.

     

    Vor wenigen Tagen hat Moody's sinngemaess folgendes verlautbart: 'Wir werden unter keinen Umstaenden eine Beteiligung der privaten Gaeubiger akzeptieren'.

     

    Dieses ist ganz offensichtlich keine Bewertung zukuenftiger Zahlungsfaehigkeit, sondern eindeutig dreiste politische Agitation auf der Basis angel-saechsischer oekonomischer Ideologie. Den Rest des Interviews mit seinen Verdrehungen von Fakten und Wahrheit kann man sich dann gleich sparen.

     

    Staat gleich schlecht, privat gleich gut, seit Thatcherism and Reagonomics immer die gleiche laengst ueberkommene Demagogie.

  • B
    Branko

    Gründen wir doch ne Ratingagentur die Ratingagenturen rated.

     

    Wenn dann Moody's oder Standard & Poors auf 'unglaubwürdig' gerated worden ist, relativiert sich diese Gewichtung der Glaskugelseherei vielleicht mal ein wenig.

  • WB
    Wolfgang Bieber

    Die Marktmacht der Rating-Agenturen haben wir lange unkritisch hingenommen, teilweise sogar gestärkt. Eine europäische Alternative ist kostspielig und nicht über Nacht realisierbar. Jedoch müssen wir die luftabschnürende Bedeutung der US-Agenturen jetzt drastisch einschränken:

    http://bit.ly/o471rv