Deutsches Theater: Die Müllermaschine
Ein fast missionarischer Auftrag: Dimiter Gotscheff spielt Heiner Müllers "Hamletmaschine" am Deutschen Theater Berlin.
Dies ist eine sehr persönliche Angelegenheit. Im schwarzen Sonntagsanzug und mit frisch gefönter Tolle steht der Regisseur Dimiter Gotscheff zwischen zehn leuchtenden Gräbern, durch die Mark Lammert die Kammerspielbühne des Deutschen Theaters in eine minimalistische Gruft verwandelt hat. Der 64 Jahre alte Bulgare ist kein Schauspieler und weiß das genau. Trotzdem hüpft und tänzelt er, deklamiert und flüstert mit immer noch starkem Akzent, krümmt und windet sich, bis Schweißflecken sich auf seinem Hemd abzeichnen und der Speichel Schaum in den Mundwinkeln schlägt.
Gotscheff spielt Heiner Müllers Intellektuellenreflexion "Die Hamletmaschine", jenen Text aus dem Jahr 1977, mit dem der ostdeutsche Autor nach eigenem Bekunden versuchte, sich selbst seine Hamlet-Besessenheit auszutreiben, indem er das Shakespeare-Drama zerstörte. Auch Gotscheff sind Obsessionen nicht fremd. Nur heißt sein Schlüssel zu Kunst und Welt, sein Objekt hartnäckiger Hingabe seit gut vierzig Jahren nicht Hamlet, sondern Heiner.
Gotscheffs Müllerverehrung ist Legende. Sie führt zurück in die DDR der frühen 60er Jahre, als der Theaterwissenschaftsstudent bei Benno Besson an der Volksbühne assistierte. Damals las er auch Müllers "Philoktet"; 1983 inszenierte er die Sophokles-Bearbeitung in Bulgarien, wo er wenig später Arbeitsverbot erhielt. Heiner Müller kam, sah und schrieb einen höchst theoretischen "Brief an den Regisseur der bulgarischen Erstaufführung von Philoktet", der für Gotscheff die Wucht eines Lebensauftrags entfaltete: Sinngemäß hatte der Autor geschrieben, dass seine Texte erst dann volle Wirkung erzielten, wenn sie auf die von Gotscheff inszenierten widerständigen Körper trafen.
Seither will Gotscheff immer wieder Müllers Texte in seinen eigenen "Gedärmen" rumoren fühlen. Fast jede seiner Inszenierungen, in denen normalerweise seine Lieblingsdarsteller Almut Zilcher, Samuel Finzi und Wolfram Koch mitspielen, verweist auf den Dramatiker. Missionarisch montiert er Müllersätze in Stücke von Molière oder Ben Jonson, verwendet Müllers Übersetzungen oder Bearbeitungen wie im Fall der "Perser" am Deutschen Theater, die erst kürzlich in der Kritikerumfrage von Theater heute zur Inszenierung des Jahres gewählt worden sind.
Wenn Gotscheff jetzt "Die Hamletmaschine" inszeniert, verblüfft einmal mehr, wie historisch die Mischung aus Intellektuellen-Selbstanklage ("Mein Ekel ist ein Privileg"), apokalyptischem Pathos ("Heil COCA COLA") und auf die Frau projizierten Erlösungsfantasien ("ich ersticke die Welt, die ich geboren habe, zwischen meinen Schenkeln") aus Müllers USA-Erfahrung und Verarbeitung des Ungarnaufstands mittlerweile erscheint. Auch dass der Dichter hier früh das Ende der DDR vorauszusehen scheint, ändert daran nichts.
Dabei sorgt Gotscheffs Inszenierung nicht gerade für Distanz zum Text: Wie existenziell er seinen Regisseur betrifft, bezeugt schon sein eigener Auftritt. Mark Lammerts Theatergrabkammer, die sich zur Not auch als sanfte Ironie verstehen lässt, sorgt vor allem für sakrale Andacht. Und Valery Tscheplanowa, die als Ophelia Hamlets Part rasend heiser und mit ins Genick geknicktem Hals wiederholt, beschließt den Abend mit einem manierierten Schrei "im Namen der Opfer". Das ist Gruselkitsch!
Zwischendurch steckt Alexander Khuon seinen Kopf durch eine eiserne Falltür im Boden, giftet parodistisch "Fernsehen Der tägliche Ekel" und ruft so das Motiv einer beliebten Müller-Postkarte in Erinnerung: der Dichter als Popstar der Neunzigerjahre, pfiffig aus dem Gulli guckend. Schade eigentlich, dass Müllers realexistierende Weltzugewandtheit - denn er war natürlich ein leidenschaftlicher Fernsehzuschauer - weder in seiner "Hamletmaschine" noch an diesem Abend so richtig zu greifen ist.
Bleibt ein letztes Zeichen: Der Regisseur und seine Schauspieler tragen die Farben Schwarz, Rot und Gold. Statt Müller-Exorzismus doch eher Nachdenken über Deutschland?
Bei aller Liebe zum sehr deutschen Dichter Müller und obwohl er sein halbes Leben in beiden Deutschländern verbracht hat, betont Gotscheff stets seine Herkunft und Identität als "verkommenes Balkansubjekt" (Gotscheff über Gotscheff). Mehrmals fällt sein Hamlet in die bulgarische Muttersprache. Fast scheint es, als wollte der "privilegierte" Exilkünstler hier eine Schuld gegenüber den eigenen Landsleuten abtragen.
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