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Deutsches Sozialforum im Wendland"Es wird wieder Konflikte geben"

Was tun gegen Schwarz-Gelb? Das dritte Sozialforum in Deutschland berät über Widerstand gegen Akws, Sozialabbau und den Afghanistan-Einsatz.

Das Sozialforum sollte der Auftakt der Sozialproteste gegen Schwarz-Gelb sein. Bild: dpa

HITZACKER taz | Wenn in Hitzacker nahe Gorleben demonstriert wird, dann geht es normalerweise zur Sache. Meist rollt dann ein Castor-Zug aus Lüneburg heran, und hunderte Atomkraftgegner versuchen, vorher noch schnell die Schienen zu besetzen.

An diesem Wochenende war es anders. Rund 500 Menschen sind zum deutschen Sozialforum in die kleine niedersächsische Gemeinde gekommen. Und obwohl die Demonstranten zum "Auftakt der Sozialproteste gegen Schwarz-Gelb" Plakate gemalt hatten, auf denen "Angie/Guido: Aufgepasst" stand, ging es ziemlich ruhig zu.

Seit Donnerstagabend lief das nach Erfurt 2005 und Cottbus 2007 dritte Sozialforum in Deutschland. Und wie in den Jahren zuvor sollte – in diesmal etwa 100 Veranstaltungen – debattiert werden, wie eine "andere", eine gerechte Welt, verwirklicht werden könne. Die Voraussetzungen dafür haben sich aber, so darf man die Stimmung auf dem Forum zusammenfassen, nach der Bundestagswahl verschlechtert.

"Die ziehen uns das Fell über die Ohren. Was jetzt kommt, ist Sozialkahlschlag", fürchtet etwa ein Sekretär der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG). Das Betriebsverfassungsgesetz oder der Kündigungsschutz seien solche Punkte. "Natürlich wetzen die jetzt nicht sofort die Messer“, sagt er auf einem der Hauptpodien zum Thema "Perspektiven nach der Wahl". Man müsse sich aber auf einen "Dauerkampf" einstellen. „Das geht ganz langsam, Stück für Stück."

Dabei sei die große Zustimmung für CDU und FDP ein Problem für die sozialen Bewegungen: "Die Mehrheit der Menschen ist gegen den Afghanistan-Krieg, für den Atomausstieg und für den Mindestlohn. Und trotzdem haben sie Schwarz-Gelb gewählt." Selbst Gewerkschafter sollen bei den Liberalen ihr Kreuz gemacht haben. "Da müssen wir uns fragen, wieso – wir haben doch vor denen gewarnt", erinnert der NGG-Funktionär.

Alexis Passadakis von Attac versucht zu skizzieren, wie ein "Abwehrkampf gegen die sozialen Angriffe" aussehen könnte. Den Bankencrash und soziale Ungerechtigkeit abstrakt als Thema zu setzen, habe „nicht funktioniert“. Das hätten die großen "Wir zahlen nicht für Eure Krise"-Demos am 28. März gezeigt. "Das Thema hatte keine weitere Politisierung zur Folge."

"Fixpunkte am Horizont"

Was der globalisierungskritischen Bewegung fehle, seien "Fixpunkte am Horizont, die großen Alternativen, die politische Energien wecken", sagt Passadakis. Themen wie das bedingungslose Grundeinkommen oder "betriebliche Konflikte, die symbolische Ausstrahlung haben", könnten hierfür Anknüpfungspunkte sein.

Für Peter Strutynski vom Kasseler Friedenratschlag ist es "einerlei, ob sich nun CDU oder FDP weiter durchsetzen". Fest stehe: "Es kommt eine Menge auf uns zu." Afghanistan werde "für die USA zum zweiten und für Deutschland zum ersten Vietnam". Schwarz-Gelb plane eine Verdopplung der deutschen Soldaten in dem Land auf 8.000. Dies werde dazu führen, dass sich Deutschland "ab Dezember in einem veritablen Krieg mit so vielen Soldaten wie noch nie seit dem 2. Weltkrieg" befinde.

Strutynski kündigt an, dass die Friedensbewegung im November zu einer "alternativen Abstimmung" über den Afghanistan-Einsatz aufrufen werde. Die Ergebnisse sollen an dem Tag präsentiert werden, an dem der Bundestag über die Verlängerung des Bundeswehr-Mandats abstimmt. Der Ausgang steht für Strutynski fest: "Die Leute sind dagegen". Das Problem sei nur, dass ”kein Schwein auf die Straße geht".

Müssen SPD und Linke zusammenfinden?

Eine Zuhörerin meldet sich zu Wort. Um "wieder an die Menschen heranzukommen" müsse man "ganz kleinteilig" vorgehen, sagt sie. In Betrieben oder mit Stadtteilarbeit müssten die sozialen Bewegungen politische Angebote machen. So sei viel zu gewinnen: "Unzufriedene gibt es genug - wir müssen die nur organisieren", sagt sie. Ein anderer Diskutant schlägt eine institutionellere Strategie vor: "Muss die außerparlamentarische Bewegung vielleicht ihren Beitrag leisten, damit SPD und Linke zusammen finden?" fragt er. Das Raunen im Saal verrät wenig Sympathie für diesen Ansatz.

Nach dem letzten Vormittagspodium sammeln sich die Teilnehmer zu einem Demozug. Es regnet etwas, eine Sambagruppe trommelt, routinierte Aktivisten der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg formieren den Zug. Eine Frau hat aus ihrem Fahrrad und Pappe eine Art Arche gebaut und Hochhäuser daraufgemalt. Sie sollen die Zentralen von Banken darstellen. "Wegen Crash: Banker sucht neues Goldland zum ausplündern" hat sie darauf gepinselt.

Eine Gruppe junger Antifas mit schwarzen Sonnenbrillen läuft zwischen den Feministinnen bei Verdi und dem Block der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Sie nehmen mehrere Anläufe und rufen immer wieder "Aufruhr, Widerstand, es gibt kein ruhiges Hinterland", aber niemand stimmt ein. Die Stimmung ist nicht danach. Eine Polizei-Hundertschaft aus Braunschweig parkt versteckt hinter einem Lidl-Markt, bei der Demo hält sie sich zurück.

Willi van Ooyen von der Frankfurter Friedens- und Zukunftswerkstatt hat das Forum mit organisiert, ebenso wie die beiden Sozialforen in Deutschland zuvor. "Die Debatten der einzelnen Teilbewegungen waren diesmal stärker aufeinander bezogen als in den letzten Jahren", sagt er. Nun gelte es, die "Schnittmengen zu suchen und zu stärken".

Zeitgleich zum Sozialforum tagte auch die Anti-Atom-Herbstkonferenz in Hitzacker. "Nach der Wahl wollten wir uns schnellstmöglich beraten," sagt Kerstin Rudek von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI). Aus über 20 Städten seien Aktivisten angereist. "Anders als in der sozialen Frage haben wir klare Kampfansagen," sagt Rudek. Die Ankündigung der Laufzeitverlängerung habe in der Bewegung "prompte Depression" ausgelöst, die "jetzt aber überwunden" sei. Nun müsse man "tun, was wir am besten können: Den Protest auf die Straße tragen".

Unter Schwarz-Gelb stünden die Umwetschützer "wieder da, wo wir schon vor zehn Jahren waren." Die Propagandaoffensive von CDU und FDP, die von "sicheren AKWs" redeten, sei so eine Kampfansage. "Wir müssen klarmachen, dass es das nicht gibt," sagt Rudek. Sie glaubt, dass es "wieder Konflikte geben wird und die Krise so ein Gesicht kriegt".

Für 2010 rechnet die BI mit drei Castor-Trasporten: Nach Gorleben, Ahaus und Greifswald. Rudek kündigte deswegen eine ganze "Castor-Kampagne" für das kommende Jahr an. Letztlich, schließt sie, sei Schwarz-Gelb aber auch kein Weltuntergang: "Wir kämpfen schon seit 32 Jahren gegen den Scheiß!" So werde man es eben auch nun halten. "Wenn wir genug sozialen Unfrieden stiften, dann lohnt sich das alles irgendwann nicht mehr", schließt sie.

Als die Demonstranten am Elbufer ankommen, stellen sie sich in Form der Wörter 'Stand Up' auf. „Steht auf gegen Armut soll das heißen", ruft eine Organisatorin und winkt Umstehende in die Formierung hinein. Das "t" sei noch nicht voll. Nach einer Viertelstunde kommt ein kleines Flugzeug, aus der Luft wird ein Foto gemacht. "Weltweit" hätten heute Menschen "auf diese Weise ein Zeichen gesetzt", sagt ein Sprecher auf der Bühne der Abschlusskundgebung. Das Menschenbild war Teil des internationalen „Stand Up“-Aktionswochenendes gegen Armut.

Dann steigt eine junge Frau mit schwarzer Regenjacke und orangefarbenem Schal auf die Bühne. Sie sei gerade aus Pittsburgh zurück gekehrt, berichtet sie. Die Kraft der Proteste gegen den G 20-Gipfel – "diese neue Weltregierung, die jetzt diese Krise bewältigen soll" – hätten sie sehr beeindruckt.

"Da steht man auf Demos nicht nur so rum und friert sich die Füße ab wie hier", sagt sie. Man "zeige seine Meinung" offensiver. Als Geste der Zustimmung zu Redebeiträgen etwa sei es dort üblich, die Arme zu heben. Dann erinnert sie daran, dass vor genau einem Jahr der Finanzmarktstabilisierungsfonds SOFFIN von der Bundesregierung mit 480 Milliarden Euro ausgestattet worden sei, um Banken zu retten.

"Und gestern wurde gemeldet, dass eine Milliarde Menschen auf der Welt hungern, obwohl es genug zu essen für alle gibt." Zeitgleich sei bekannt geworden, dass einige Wall Street Banken in diesem Jahr so hohe Boni auszahlen wie noch nie. "Mitten in der Krise scheint das immer noch zusammen zu gehen," ruft sie. Genau hier seien die sozialen Bewegungen gefordert. Die Demonstranten recken beide Arme.

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4 Kommentare

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  • JH
    jan han

    "Wenn wir genug sozialen Unfrieden stiften, dann lohnt sich das alles irgendwann nicht mehr"

     

    Das läßt ja eine schöne Hetzerei erwarten...

    Kann man sich selbst noch mehr disqualifizieren als so?

    Wieviele Menschen leben eigentlich direkt von dieser Anti-AKW-Bewegung?

  • HS
    Herrn Schmilz

    @jan han: "... man sich selbst noch mehr disqualifizieren als ..."

    Wenn alles so platt ökonomisiert ist dass die zurechenbaren Kosten ordentlich steigen müssen um die Atomkraft "unrentabel" zu machen, weil der gesunde Menschenverstand, basisdemokratischer Bürgerwille und die Kostenfrage der ungeklärten Entsorgung eben noch immer nicht ausreichen um einen Ausstieg zu befördern, dann ist das doch nicht nur legitim, sondern vor allem logisch, wa?

    Kann man sich also noch mehr disqualifizieren?

    Oh Mann, man kann, jan han!

  • H
    hto

    @jan han:

     

    Das Problem mit diesen "Aktivisten" ist, daß auch sie systemrational in Suppenkaspermentalität auf Sündenbocksuche gebildet sind, und deshalb NEIN NEIN NEIN, eine Welt- und Werteordung auf der Basis eines BEDINGUNGSLOSEN MENSCHENRECHTS auf Nahrung, Wohnen und Gesundheit, mit allen daraus MENSCHENWÜRDIG resultierenden Konsequenzen / Möglichkeiten, auch nicht wollen, bzw. sie auch vor dem "freiheitlichen" Wettbewerb um ... leichtfertig / bewußtseinsbetäubt KAPITULIERT haben und es deshalb nicht glauben.

     

    So ist es dann wohl, wenn wir nicht im Atommüll umkommen, daß wir auf jeden Fall an der gewohnten Überproduktion von symptomatisch-interessensorientiertem Kommunikationsmüll untergehen - der Tanz um den heißen Brei / das goldene Kalb / oder sonstwas!?

  • JH
    jan han

    "Wenn wir genug sozialen Unfrieden stiften, dann lohnt sich das alles irgendwann nicht mehr"

     

    Das läßt ja eine schöne Hetzerei erwarten...

    Kann man sich selbst noch mehr disqualifizieren als so?

    Wieviele Menschen leben eigentlich direkt von dieser Anti-AKW-Bewegung?