: Deutsches Gericht glaubt Spanien nicht
■ Berliner Kammergericht liefert mutmaßliches ETA-Mitglied Ramos wegen Foltergefahr vorerst nicht aus
Madrid (taz) – „Deutschland hat die politische Pflicht, seine Gesetzgebung zu ändern, falls sie tatsächlich die Auslieferung von Terroristen verhindert.“ Spaniens Innen- und Justizminister Juan Alberto Belloch war wütend, als er von der Entscheidung des Berliner Kammergerichts erfuhr, Benjamin Ramos Vega zunächst nicht nach Spanien auszuliefern. Das Kammergericht hielt die Bedenken des Angeklagten für stichhaltig, er selbst sei der Gefahr der Folter ausgesetzt, in seinem Verfahren könnten unter Folter erpreßte Aussagen verwandt werden und er selbst werde als HIV-positiver Gefangener keine ausreichende medizinische Versorgung erhalten. Die spanische Seite solle zu diesen drei Punkten erst schriftlich Stellung nehmen, bevor über eine Auslieferung entschieden werde, heißt es in dem Beschluß, den die AnwältInnen Ramos Vegas am Mittwoch veröffentlichten. Dem im Januar in Berlin verhafteten 33jährigen wird vorgeworfen, für das „Kommando Barcelona“ der baskischen ETA zwei Wohnungen angemietet zu haben, in denen Sprengstoff gelagert wurde.
Die Foltervorwürfe von seiten eines EU-Partnerlandes sind für Spanien ein herber Schlag – neu aber sind sie nicht. Die Vereinten Nationen, amnesty international, der Menschenrechtsausschuß des US-State-Departments und die spanische „Vereinigung gegen die Folter“ (ACT), alle sind sich einig: In Spanien gehört Folter 20 Jahre nach dem Tod von Diktator Franco, vor allem im Umgang mit politischen Gefangenen, nach wie vor zum Alltag, und das, obwohl Madrid 1987 die UN-Antifolterkonvention unterzeichnete.
Neben den klassischen Foltermethoden, wie Elektroschocks, mit Wasser oder Fäkalien gefüllte Badewannen in die der Gefangene bis fast zum Erstickungstod getaucht wird, Plastiktüten über den Kopf und Scheinhinrichtungen, beklagen sich die ETA-Gefangenen über Nötigungen, Einschüchterungen, und – im Falle von weiblichen Gefangenen – sexuelle Folter.
Die ACT, die sich hauptsächlich aus Anwälten zusammensetzt, verfolgt die Entwicklung in Spanien seit nunmehr zehn Jahren. Im letzten Jahresbericht sind 277 Fälle von Folterungen und Mißhandlungen aufgelistet. Angezeigt wurden 448 Beamte aus den unterschiedlichen Polizeieinheiten. 128 wurden verurteilt, 120 freigesprochen, und 200 warten auf die Eröffnung eines Verfahrens.
Die Befürchtungen des Berliner Kammergerichts, der HIV-Positive Benjamin Ramos laufe in spanischer Haft Gefahr, nicht die entsprechend medizinisch behandelt zu werden, ist ebenfalls nicht unbegründet. Die Ärzte in den überfüllten spanischen Gefängnisse sind restlos überfordert. Zwei von drei Häftlingen sitzen wegen Drogendelikten oder Beschaffungskriminalität. Mehr als die Hälfte von ihnen ist HIV-infiziert. Reiner Wandler
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