Deutscher Spielfilm: Die Uckermark als Utopie
Der Osten mal ohne Klischees: "Jagdhunde" spielt im winterlichen Brandenburg und findet zu einer schönen Mischung aus Melancholie und zarter Lakonie.
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Dieser Film spielt in Brandenburg. Es ist Winter, unterkühlt ist die Stimmung im Dorf. Wortlos gehen die Menschen aneinander vorbei. Schweigend trinken sie ihr Bier in einem trostlosen Vereinshaus. Von oben betrachtet die Kamera einen jungen Mann, der mit seinem Moped im Kreis fährt. Und dennoch sitzen wir hier nicht in einem jener Sozialdramen, die den deutschen Osten zum Schauplatz einer mit den immer gleichen Formeln bearbeiteten Erstarrung erkoren haben. In einem dieser Filme also, die wie "Die Könige der Nutzholzgewinnung" möglichst lange auf dem gelben Ortseingangsschild "Tanne-Ostharz" verharren, um den Zuschauer darauf vorzubereiten, dass es sich bei der Gestalt, die gleich um die Ecke biegen wird, um einen Arbeitslosen handeln muss.
Auch in Ann-Kristin Reyels' Film "Jagdhunde" begegnet man verhärmten Männern und Jugendlichen, die aus lauter Langeweile Mofas demolieren. Doch liegt die Perspektivlosigkeit hier nicht wie ein Stigma über den Bildern. Genauso wenig wurde sie wie von höherer Gewalt in die Biografien der Bewohner eingeschrieben. Im Grunde genügt diesem Regiedebüt eine einzige Szene, um seine Geschichte in der Wirklichkeit zu verankern.
Der aus Berlin stammende Lars (Constantin von Jascheroff) ist in die Uckermark gezogen, wo sein Vater einen Bauernhof zum Hochzeitshotel umbauen lassen will. Mit der gleichaltrigen Marie (Luise Berndt), die er gerade kennen gelernt hat, besucht Lars eine Weihnachtsfeier. Plötzlich scheint die Zeit stehen geblieben. Die muntere Frauenrunde, die sich in einer ehemaligen Großküche trifft, sieht aus, als habe sie vergessen, die Kollektivkittel abzulegen. Vielleicht kommt man nur aus alter Gewohnheit zusammen, vielleicht, weil sonst nicht viel zu tun ist. Dennoch besitzt diese mit den realen Dorfbewohnerinnen gedrehte Szene eine schöne Leichtigkeit. Man spürt Freude und Vertrautheit, wenn die Schnapsgläser beim Zuprosten klirren. Irgendwann spielen die Frauen in dem fast leeren Raum Rundlauf um eine Tischtennisplatte; gewitzt zielen sie den Ball in die äußerste Ecke. So zart humorvoll und beiläufig fällt in "Jagdhunde" die Annäherung an den Osten aus.
Noch in anderer Hinsicht befreit dieses Regiedebüt die neuen Bundesländer von der Last des Klischees. Allzu oft müssen diese Landschaften nur mehr den dekorativen Hintergrund für Filme abgeben, in denen Berliner ins Umland fahren, um ihre Beziehungsprobleme auszuleben. Auch Lars Vater durchlebt gerade eine Ehekrise. Gespielt wird dieser Grantler aber von dem Kabarettisten und Schauspieler Josef Hader, der seine Figuren stets mit einer natürlichen Selbstironie ausstattet, ohne sie dabei zu verraten. Man muss einfach schmunzeln, wenn er wie die Inkarnation eines Häufchen Elends in der Küche sitzt, zu einem Satz anhebt, dann wieder abbricht, den Kopf in die Hand legt und weiter mit sich hadert. Auch seine neue Freundin (Judith Engel), ausgerechnet die Schwester seiner Frau, sorgt für komische Momente. Etwa wenn sie ins Dorf zum Friseur geht und mit schreckschraubenhaft lang gezogenen Locken zurückkehrt.
Es ist dieser lakonische Grundton, der die Resignation, von der "Jagdhunde" eben auch erzählt, nicht nur erträglich, sondern umso eindringlicher erscheinen lässt. Natürlich geht es hier um eine Familie, die sich nichts mehr zu sagen hat. Um Berliner und Brandenburger, die sich argwöhnisch betrachten. Um Biografien, die in eine Sackgasse geraten sind. Und natürlich spiegelt sich die Erstarrung dieser Menschen in der Eislandschaft der schneebedeckten Felder und gefrorenen Seen. Aber dieser Film trotzt seinem melancholischen Grundgefühl und gibt mit den winterlichen Tableaus auch den Hintergrund für eine kleine Utopie ab.
Es sind die ersten Zeichen einer ersten, ernsthaften Verliebtheit, die man inmitten der eisigen Landschaft entdeckt. Immer häufiger treffen sich Lars und die gehörlose Marie. Sie fahren mit seinem Mofa durch die Gegend, treffen sich auf Hochsitzen oder in einem verrosteten Flugzeug. Einmal verkleiden sie sich mit Wolfsmasken, drehen sich auf einem gefrorenen See um sich selbst und beginnen eine Schneeballschlacht. Beide haben gerade erlebt, was die Liebe mit Erwachsenen anstellen kann, vielleicht nähern sie sich deshalb ganz vorsichtig aneinander an. Auch für dieses zarte, noch unsichere Gefühl findet Reyels ganz eigene Einstellungen, die sich, wie die anderen Bilder dieses Films, nicht immer ganz entschlüsseln lassen müssen.
"Jagdhunde", Regie: Ann-Kristin Reyels, mit Constantin von Jascheroff, Josef Hader u. a., Deutschland 2007, 86 Min.
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