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Deutscher Profit gegen türkische Schildkröten

■ Mit Kapitalbeteiligungen an zwei touristischen Großprojekten finanziert das Bonner Entwicklungshilfeministerium den ökologischen Sündenfall an der türkischen Mittelmeerküste / Touristikunternehmen wollen geplantes Hotel nicht in ihr Programm aufnehmen

Von Jürgen Gottschlich

Berlin (taz) - 20.000 Unterschriften an die Adresse des Bundesministers für Wirtschaftliche Zusammenarbeit, Klein, und den türkischen Ministerpräsidenten Özal präsentierten gestern deutsche und europäische Umweltorganisationen der Presse in Bonn. Dies, so Günther Peter, Vorsitzder der „Aktionsgemeinschaft Artenschutz“ sei jedoch nur die Spitze des Eisberges einer internationalen Protestbewegung, die seit zwei Jahren versucht, das bislang größte deutsch–türkische Tourismusprojekt im Dalyan– Delta der süd–westlichen Mittelmeerküste in der Türkei zu verhindern. Die Naturschützer, die sich selbst auf ein vom Klein–Ministerium in Auftrag gegebenes Gutachten stützen können, verweisen darauf, daß der Hotelbau im Dalyan–Delta ein einzigartiges Naturparadies zerstören würde, zu dem auch einer der letzten großen Nistplätze der akut vom Aussterben bedrohten Meeresschildkröte Caretta caretta gehört. Das Projekt wird jeweils zu einem Drittel von der bundeseigenen Deutschen Entwicklungsgesellschaft (DEG), dem bundesdeutschen Touristikunternehmen IFA und der türkischen Unternehmensgruppe Kavala finanziert. In einem letzten Anlauf appellierten die Verbände gestern an die Abgeordneten des Bundestages, das Projekt zu stoppen. Am Mittwoch soll im Ausschuß für Wirtschaftliche Zusammenarbeit eine endgültige Entscheidung fallen. Das Argument der Bundesregierung, ein Ausstieg würde nur Platz für andere Investoren schaffen, wiesen die Umweltverbände zurück. Die türkische Regierung habe vielmehr signalisiert, für diesen Fall auf den Bau zu verzichten. Nach bislang unbestätigten Informationen der taz aus Istanbul hat die türkische Unternehmensgruppe Kavala ihren Rückzug bereits angekündigt. Auch von einer für die Bundesregierung bislang unerwarteten Seite wird der Sinn des Großprojektes in Frage gestellt. Die Touristikunternehmen TUI, NUR, Meditours, Jet–Reisen und Hetzel– Reisen haben angekündigt, sie würden das Hotel in der Dalyan– Bucht nicht in ihr Programm aufnehmen. Wie die taz weiter aus zuverlässiger Quelle in der Türkei erfuhr, ist die DEG aber nicht nur in Dalyan engagiert. Mit 25 Prozent des notwendigen Kapitals finanziert das deutsche Entwicklungshilfeministerium an der türkischen Mittelmeerküste in Tekirova einen weiteren Hotelkomplex mit rund 800 Betten. Tekirova liegt östlich von Dalyan im Einzugsbereich der großen Küstenstadt Antalya. Nach den heftigen Protesten in Dalyan, die die DEG veranlaßt hatten, ein ökologisches Gutachten erstellen zu lassen, wurden dieselben Zoologen auch als Gutachter für Tekirova verpflichtet. Dieses bislang unter Verschluß gehaltene Gutachten belegt, daß auch der Bau am Strand von Tekirova Nistplätze der Meeresschildkröten bedroht. Während die Gutachter Kinzelbach und Schemel für das Projekt in Dalyan in einem ersten Szenario noch für den Verzicht eines Hotelbaus plädiert hatten, gehen sie in dem Gutachten zu Tekirova gleich davon aus, daß „eine Null–Option aufgrund politischer Vorgaben nicht zur Debatte steht“. Trotzdem stellen sie noch einmal ausdrücklich fest, daß das Projekt aus ökologischen Gründen eigentlich nicht realisiert werden dürfte. „Der gesamte Strand von Tekirova wird als Brutplatz von der in ihrem Bestand gefährdeten Suppenschildkröte (Chelonia mydas), vereinzelt auch von der noch stärker gefährdeten unechten Karett–Schildkröte (Caretta caretta), aufgesucht. Bei Realisierung der geplanten Hotelprojekte würde der Strand als Brutgebiet zunächst weitgehend, langfristig vielleicht völlig ausfallen. Daher ist die Projektplanung als ganzes und in ihren einzelnen Teilen nicht umweltverträglich.“ Da die beiden Zoologen jedoch bereits in Dalyan feststellen mußten, daß sowohl die Bundesregierung als auch die türkische Regierung einen Verzicht auf das profitable Hotel nicht akzeptieren wollen, gehen sie in Tekirova gleich davon aus, daß die Entscheidung zur Bebauung des Strandes „unumstößlich gefallen ist“. Schon deshalb bleibe nichts anderes übrig, als den Schaden innerhalb der „eng gefaßten Entscheidungsspielräume zu begrenzen“. Darüber hinaus zeichnen die beiden Zoologen ein düsteres Bild für die zukünftige Entwicklung des Tourismus in der Türkei. Entgegen der verbalen Beteuerung der türkischen Regierung, sie wolle „keine Verhältnisse wie in Spanien“, stellen die beiden fest, die bisherige Planung „provoziere spanische Verhältnisse geradezu“. Denn, „es ist offensichtlich, entgegen aller ökologischen Bedenken, eine totale touristische Nutzung an allen Stränden und pittoresken Stellen vorgesehen“. Die gesamte Tourismusplanung setze auf Quantität statt auf Qualität. Diese Entwicklung, so stellen sie abschließend fest, führe zur „völligen Aushöhlung des Begriffs Nationalpark in Richtung eines Rummelplatzes“. Finanziert wird der Rummelplatz unter anderem mit deutschen Entwicklungshilfegeldern.

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