: Deutscher Blumenstrauß grauer Klischees
■ betr.: "Ist der Westmann weiblicher?", "Wann endlich folgt das Coming-out?", taz vom 19.9.90, "Schnauzer, Wampe, Klemmgefühl", taz vom 21.9.90
betr.: »Ist der Westmann weiblicher?«, »Wann endlich folgt das Coming-out?«, taz vom 19.9.90, »Schnauzer, Wampe, Klemmgefühl«, taz vom 21.9.90
Der taz-Leser lacht nicht bei Witzen über Juden und Radfahrer, oder nur im engsten Freundeskreis. Seit Westmann der hohen Ansteckungsgefahr ohne Obulus in den Osten entkommen kann, gibt es endlich eine noch nicht von selbstverleugnerischen Moralisten geschützte Randgruppe, von der man sich selbst als rot-grüner Linksliberaler ohne Skrupel wohltuend abhebt, den Ossi (gern auch Zoni). Dreie schreiben, was alle denken, ein ausgesprochen deutscher Blumenstrauß grauer Klischees zum Erhalt der Lieblingsrandgruppe der richtigen Deutschen (ohne Gowestomanen).
Die gute Ost-Susanne schwärmt vorbehaltlos von frisierten, durchgestylten westlichen Zehenspitzengängern, was darin gipfelt, daß sie abgehobenes Wessi-Desinteresse zum Anlaß nimmt, auf den Gegenpart eben mehr einzugehen, den Macho also noch zu kultivieren. Braves Mädchen.
West-Axel bietet einen Grundkurs für an der Wiedervereinigung interessierte Ostlerinnen. Minirock geht schon in Ordnung, Kindern vorbeugen oder wenigstens nicht in Annoncen erwähnen, Augenflirts nicht ausweichen und wegen des lethargischen Blicks Tropfen benutzen, sexuelle Initiative ergreifen und keine Tabus! Ostfrau ist nämlich dämlich, wenn sie de Sade nicht kann. Und um den Einwesttest mit »Befriedigend« zu bestehen, bei der nächsten Ossi-Beschimpfung nicht mehr pfeifen!
West-Ute schließlich entlarvt Ostmann als das, was er ist. Da sie keines der für ihn typischen Biotope ausgelassen hat, kennt sie sie alle. Im Offizierskasino entdeckte sie den stalinistischen Alt-Nazi (typische Ostkarriere). Arbeiter und Bauern sind Galle spuckend — Vorsicht! Tröpfcheninfektion — bei Aldi zu besichtigen, und der Rest ist leicht nach der Barttracht einteilbar in Stasi, infantile Oppositionelle, schmerbäuchige Väter, die ihren Rassismus mit blonden Kindern manifestieren, und rotznasigen Mischformen, die nie in der Lage sein werden, einen Vierzylinder zu beherrschen, da ihnen die Gnade der Geburt auf der richtigen Seite einer Mauer versagt blieb.
Resultierend einzig aus letztgenanntem genetischen Defekt bleibt zu prüfen, ob einige Exemplare des Ostmannes nach der Nutzung als Randgruppe recycelbar sind oder ob es nicht klüger wäre, geschlossen, wie früher bei der Wahl, in andere Himmelsrichtungen umzusiedeln, sozusagen als Loyalitätsbeweis. Michael Marker, Zeuthen
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