: Deutsche sollen Beirut verlassen
■ Noch kein Bekennerschreiben zur Entführung des Hoechst–Geschäftsführers Cordes / Nach der Entführung Verunsicherung in der bundesdeutschen Kolonie in Beirut / Botschaft verlagert Personal
Aus Beirut Joseph Kaz
Bisher hat sich noch keine Gruppe zu der Entführung des bundesdeutschen Geschäftsführers der Hoechst–Vertretung im Libanon, Rudolf Cordes, bekannt. Beobachter in Beirut bringen die erste Entführung eines Bundesbürgers im Libanon mit der Festnahme von Mohammed Ali Hamade, einem jungen libanesischen Schiiten, auf dem Frankfurter Flughafen in Verbindung. Das Auswärtige Amt hat inzwischen allen Bundesbürgern empfohlen, Westbeirut zu verlassen. Hamade stammt aus dem Dorf Saouane, das im von Israel kontrollierten Süden des Landes liegt. Mehrere Mitglieder seiner Familie sind im Widerstand gegen die Besatzung aktiv, einige von ihnen gehören fundamentalistischen Bewegungen, vor allem der pro– iranischen schiitischen Hisballah an. In Beirut gibt es jedoch keine Hinweise auf eine Beteiligung Hamades an der Entführung der TWA–Maschine nach Beirut im Juni 1985, wie dies in einigen Medien suggeriert wurde. Die erste Entführung eines Bundesdeutschen hat die Liste der Ausländer, die auf der Flughafenstraße im schiitischen Süden der libanesischen Hauptstadt gefangen genommen wurden, auf sechs verlängert. Auch der mißglückte Anschlag auf den rumänischen Botschafter am vergangenen Freitag fand in diesem Gebiet statt. Offenbar profitieren die Entführer von der Komplizenschaft schiitischer Angestellter auf dem Flughafen, um Einblick in die Passagierlisten zu erhalten. Seit Juni 1985 unterliegt die Kontrolle der Reisenden auch Angehörigen des syrischen Geheimdienstes. Am Freitag hat zusätzlich eine Gruppe von rund dreißig syrischen Elitesoldaten Positionen an der Zufahrt zum Flughafen bezogen. Doch diese Zahl ist völlig ungenügend, da die Straße zwischen dem Flughafen und der Stadt durch ein Viertel führt, wo tausende schiitischer Milizionäre leben und seit 111 Tagen die Palästinenser in den nahegelegenen Lagern Borj el Brajneh und Chatila bekämpfen. Vor der Entführung von Cordes wiegte sich die rund 200 Köpfe zählende deutsche Gemeinde ungeachtet der Verschleppung von Ausländern in Beirut in Sicherheit. Auch die kulturellen Institutionen wie beispielsweise das Goethe–Institut arbeiten weiter. Allerdings hat es jetzt seine Tätigkeit vorrübergehend eingestellt. Mittlerweile wurden drakonische Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, um die Deutschen im vorwiegend moslemischen Westteil Beiruts zu schützen. Die deutsche Botschaft in Westbeirut hat den größten Teil ihres Personals nach Junieh verlagert, das 21 Kilometer nördlich von Beirut im Christengebiet liegt. Wie das Auswärtige Amt in Bonn mitteilte, hat die Botschaft allen Bundesbürgern empfohlen, Westbeirut zu verlassen. Die Botschaft werde allen Deutschen beim Transport in den christlichen Osten behilflich sein. Eine Evakuierung sei jedoch nicht vorgesehen, hieß es in Bonn. USA: Keine Todesstrafe Bonn (dpa) - Am Wochenende haben Gespräche zwischen Vertretern des Justizministeriums und der US–Botschaft über eine Auslieferung von Hamade an die USA stattgefunden. Die USA betreiben die Auslieferung, weil Hamade verdächtigt wird, an der Entführung eines TWA–Flugzeuges nach Beirut im Juni 1985 beteiligt gewesen zu sein, in deren Verlauf ein US–Bürger ermordet wurde. Die Bundesregierung kann Hamade jedoch nur ausliefern, wenn diesem in den USA nicht die Todesstrafe droht. Eine entsprechende Zusicherung soll inzwischen aus Washington vorliegen, Bonn wurde jedoch offiziell davon noch nicht unterrichtet. Unterdessen erklärte der Sprecher der Bundesanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Prechtel, Generalbundesanwalt Rebmann verfüge bislang über keine konkreten Hinweise auf einen möglichen Zusammenhang zwischen der Verschleppung von Cordes in Beirut und der Festnahme von Hamade in Frankfurt.Sollte ein solcher Zusammenhang bestehen, müßte der Generalbundesanwalt unter dem Aspekt der möglichen Nötigung von Verfassungsorganen prüfen, ob das Verfahren durch seine Behörde zu übernehmen ist.
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