Deutsche Presseagentur im Wandel: Offene Notizbücher
Der neue Chefredakteur, Wolfgang Büchner, hat seine Hausaufgaben gemacht - Umzug nach Berlin, Personalabbau und mehr Transparenz inklusive. Jetzt folgt der Praxistest.
Es gibt Tage, an denen Wolfgang Büchner die Laune eines durstigen Kamels plagt. Der vergangene Freitag war für den Chefredakteur der Deutschen Presse-Agentur (dpa) wieder so einer: Da hatte dpa zunächst gemeldet, dass der Chef der Republikaner in Deutschland sein Amt aufgebe. Einige Stunden später meldete dpa in eigener Sache, eine gefälschte Mitteilung "ohne die notwendige Überprüfung" verbreitet zu haben.
Dabei hatte Büchner der dpa, die Zeitungen, Sender und Internetportale mit Nachrichten versorgt, schon nach einem ähnlichen Vorfall 2009 neue Regeln verordnet, damit sich die rund 450 dpa-Redakteure nicht mehr täuschen ließen.
Neben solch peinlichen Qualitätsmängeln seiner Agentur, die von ihrem Ruf als verlässlicher Dienstleister lebt, muss sich Büchner aber auch noch mit viel grundsätzlicheren Dingen beschäftigen. Er muss die dpa in diesem Jahr nämlich für den Kampf gegen die neue Agenturallianz aus ddp und dapd stärken, die den Marktführer "verzichtbar" machen will.
Wer mit Büchner über die Zukunft sprechen wollte, ging bisher leer aus. Seine Bitte: "Lassen Sie mich doch erst mal arbeiten, dann können wir reden." Bis dato äußerte er sich nur selten, gab sich wenig konkret und hinterließ Sätze wie: "Wir müssen nicht mehr nur die Inhalte unserer Redakteure editieren, sondern auch das Web."
Intern hat er seine Hausaufgaben längst gemacht. Wenn im Juli die auf Hamburg, Frankfurt und Berlin verteilten Redaktionen in der Berliner Axel-Springer-Passage zusammenziehen, fusioniert Büchner die Ressorts für In- und Ausland. Diese griffen inzwischen derart ineinander, dass jede andere Struktur "von gestern" sei. Eine ständige Task-Force soll zudem helfen, die auf 50 deutsche Büros und auf 32 im Ausland verteilten Korrespondenten bei Ereignissen besser zu koordinieren. Feste Redakteure sollen dann nur noch damit beschäftigt sein, sich Konzepte zu überlegen und Recherchen portioniert anzuschieben.
Neu soll auch ein Ressort mit dem Arbeitstitel "Netzwelt" sein, wie es das schon bei Spiegel Online gibt, das Büchner bis zum Sommer leitete. Die dpa will darin Neuerungen in Internet und Heimelektronik begleiten, aber auch gesellschaftliche Auswirkungen. Damit holt Büchner nach, was dpa bisher vernachlässigte, und greift zugleich den Konkurrenten dapd an, der diese Sparte als ehemaliger Ableger der US-Agentur Associated Press mit seinem "Computer & Cyberspace"-Paket dominiert.
Ausbooten will Büchner seine Mitbewerber, zu denen auch ein Ableger der Agence France-Presse (afp) gehört, zudem mit mehr Service. Er entwickelt derzeit das Kundenintranet "dpa News", in dem der Nachrichtenticker wie auf klassischen Portalen üblich aufbereitet wird - und mehr Gewichtung ermöglicht. Büchner will, dass seine Kunden nicht mehr auf "ARD-Text" oder Spiegel Online blicken, wenn sie wissen wollen, was wichtig ist, sondern vor allem auf dpa. Geht diese Strategie auf, würden alle anderen Agenturen nur noch ein Schattendasein führen.
Auf dem passwortgeschützten Portal, das im Sommer starten soll, können Kunden jede Nachricht kommentieren und so um weitere Recherchen bitten oder Fehler monieren. Die dpa will ihnen auf "dpa News" auch die Kontaktdaten zu erwähnten Personen mitgeben und weiterführende Links, damit sie die Geschichten selbst weiterdrehen können. Intern nennt Büchner dieses Konzept "Open Notebook", das bei Bedarf auch andere Einblicke in die Notizen der dpa-Reporter gewähren soll, darunter gescannte Dokumente, aus denen dpa zitiert.
Die Kehrseite dieses Modells ist: Wenn mehr als zweihundert Journalisten vom Sommer an auf einem Stockwerk wie Legehennen zusammensitzen, sollen es etwa 30 weniger sein als bisher in den auf die Republik verteilten Redaktionen. Büchner will sparen. Rauswerfen muss er dafür aber wohl niemanden, denn nicht jeden wird es von Elbe oder Main an die Spree ziehen. Schon Anfang nächster Woche soll feststehen, wie viele der etwa 270 betroffenen Mitarbeiter Kisten packen wollen oder nicht.
Büchner will den Kostenblock "Personal" außerdem noch ganz anders angehen. Bis zum Umzug sollen Chefredaktion, Geschäftsführung und Betriebsrat ausloten, ob die Tarifstruktur angetastet werden kann. Bei der dpa gilt immerhin noch bis heute vielfach: arbeite zehn Monate und bekomme knapp 14 bezahlt.
Luxus im Vergleich etwa zu den ddp-Mitarbeitern, die einst vor der Pleite standen und seitdem Opfer von Dumpinghonoraren sind. Doch auch das kann heutzutage leider ein Wettbewerbsvorteil sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!