Deutsche Nahostpolitik: Berlin will "Vatikanlösung"
Die Bundesregierung lehnt die volle Anerkennung eines Staates Palästina ab. Einer Aufwertung in der UN-Vollversammlung würden die meisten deutschen Parteien aber zustimmen.
BERLIN taz | Die meisten deutschen Parteien betrachten den palästinensischen Plan, vor dem UN-Sicherheitsrat einen Antrag auf Vollmitgliedschaft in der UNO zu stellen, mit Skepsis. Lediglich die Linke unterstützt ihn vorbehaltlos. "Es ist doch ein riesiger Fortschritt, wenn die Palästinenser auf ihre unbefriedigende Situation statt mit Gewalt mit dem Gang zur UNO reagieren", meint Wolfgang Gehrcke, der außenpolitische Sprecher der Linken im Bundestag. "Welchen Weg sie dabei einschlagen, das müssen die Palästinenser selbst am besten wissen."
Dem steht die Haltung der Bundesregierung entgegen. Schon im Mai dieses Jahres hatte Angela Merkel klargemacht, dass sie die Ausrufung eines Palästinenserstaats gegen den Willen Israels ablehnt. "Einseitige Schritte" seien nicht hilfreich, notwendig sei eine Rückkehr zu Friedensverhandlungen.
Seitdem haben sich EU-Diplomaten bemüht, den Riss zu kitten, der quer durch Europa geht. Denn Frankreich, Großbritannien und Spanien sehen die Pläne der Palästinenser mit Sympathie. Deutschland, Tschechien und die Niederlande dagegen lehnen sie ab. Der Kompromiss läge darin, zumindest einer Aufwertung der Palästinenser vom reinen Beobachter zum "beobachtenden Nichtmitgliedstaat" in der UN-Vollversammlung zuzustimmen - so, wie es jetzt schon beim Vatikan der Fall ist, weshalb man gern von der "Vatikanlösung" spricht. Über die Details wird zwischen Berlin, Ramallah und Brüssel aber noch bis zum letzten Moment gefeilscht.
"Ich kann mir vorstellen, dass sich Deutschland der Marschrichtung anschließt, auf die sich die EU geeinigt hat", räumt Ruprecht Polenz, der außenpolitische Sprecher der Union, ein. "Unser Abstimmungsverhalten darf den Weg zu Verhandlungen aber nicht erschweren", markiert er die Haltung seiner Partei. "Und es muss verhindern, dass es im Nahen Osten zu neuer Gewalt kommt."
Polenz fürchtet, dass ihre "Unabhängigkeitserklärung" die Lage der Palästinenser nicht verbessern und ihre Erwartungen enttäuschen wird. Auch könnte sich Israels rechte Regierung dadurch provoziert fühlen, neue Sanktionen gegen die Palästinenser zu verhängen, mit denen Außenminister Lieberman bereits gedroht hat.
"Bei aller Sympathie für ihr Anliegen ist fraglich, ob die Palästinenser gut beraten sind, die volle Konfrontation mit den Amerikanern im Sicherheitsrat zu suchen", meint auch Kerstin Müller von den Grünen, denn die USA würden dort ein Veto einlegen. Erdogans Auftritt in Kairo habe sie womöglich unter Druck gesetzt, "zu zeigen, dass sie keine Weicheier sind". Die "Vatikanlösung" sei jedoch "ein tragfähiger Kompromiss, dem auch Deutschland zustimmen sollte".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP