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„Deutsche Eiche“, schön und schwul Von Wiglaf Droste

Das Münchner Hotel „Deutsche Eiche“ heißt in Zeitungssprache „Künstlerhotel“, ist also mit weniger verdrucksten Worten eine schwule Adresse. Außer schönen Zimmern hat die „Deutsche Eiche“ auch eine „moderne Herrensauna auf vier Etagen“ zu bieten, und so kann man beim Verlassen des Hotels Augen- und Ohrenzeuge werden, wie ein junger, wohlproportionierter und der deutschen Sprache nur äußerst bedingt mächtiger Mann den gleichfalls jungen, gut gewachsenen und geradezu charismatisch freundlichen Mann an der Rezeption langsam und stetig um seine drahtseildicken Nerven bringt, indem er, als beschwöre er eine Sure oder ein Mantra, wieder und wieder ausschließlich „Einmal“ sagt, woraufhin der Hotelangestellte jedesmal „Einmal was?“ zurückfragt, um wiederum die Antwort „Einmal“ zu erhalten, bis sich irgendwann im Bereich des Nonverbalen der Wunsch des jungen Gastes nach einem Saunabesuch herausgeschält hat.

Als ich im Sommer 1987 mit meiner Freundin Ulrike Kowalsky für ein paar Tage in der „Deutschen Eiche“ wohnte, bekamen wir von einigen Hotelgästen das Gefühl vermittelt, als gemischtgeschlechtliches Paar etwas ganz Besonderes zu sein. Leicht amüsiert wurden wir betrachtet, aber in einigen wenigen Augenpaaren funkelte es auch böse: „Was wollen die perversen Heten ausgerechnet hier?“ schienen die Blicke zu sagen. Provinzialität ist weder an einen Ort noch an eine sexuelle Vorliebe gebunden; ihren Eigenmief tragen die Deppen jeder Couleur mit sich spazieren und merken's nicht.

Die „Deutsche Eiche“ aber erscheint vornehmlich als Anziehungspunkt angenehmer Existenzen. Man öffnet die Tür eines Doppelzimmers, hinter der sich etwa acht bis zehn – ihrer Mundart nach Schweizer – junge Menschen vergnügen. Träumt man das nur, oder ist das wahr? Man sieht einen in jeder Hinsicht strammen Mann den Gang entlangwandern, zunächst nur mit Unterhosen bekleidet, später nackt, noch später dann angezogen – was tut der da und warum? Versucht er in heiliger Trunkenheit den schönen Satz aus „Asterix und der Kupferkessel“ nachzustellen: „Orgien! Orgien! Wir wollen Orgien!“?

Man wird es wohl nie erfahren, aber anderntags wurde der Mann auf einer Parkbank schlafend gefunden; fluchtartig hatte er das Hotel verlassen müssen, nachdem er sich auf der Suche nach seinem Hotelzimmer offensichtlich verirrt und ein fremdes Zimmer betreten hatte, um sich dort endlich schlafen legen zu können; das Bett aber war bereits belegt, und der unverhofft und roh Geweckte alles andere als froh über die nächtliche Störung. Worte wie „Wer sind Sie?“, „Was wollen Sie!“ und „Zu Hilfe!“ erklangen, woraufhin der ruhestörende Mann mit den Worten „Ich bin der Klempner!“ über die Feuertreppe floh.

Die „Deutsche Eiche“ aber kratzt das nicht. Anderntags um 10.37 Uhr rattert ein Fax von Freund Rattelschneck aus dem Gerät; Rattelschnecks gezeichnete Morgengabe heißt „Lustige Penisverlängerung“ und sieht auch genauso aus. Mit keineswegs spitzen Fingern schiebt der junge Mann das Fax über den Rezeptionstresen, sagt „Tss tss tsss“ und „bizarr, bizarr“ und lächelt weise in sich hinein.

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