Deutsche Chefetagen: Schlaftabletten und Gewinnwarnung
Zwölf Manager großer Unternehmen erzählen in einem Interviewband aus dem Innenleben der Konzernführungen. Psychotricks werden preisgegeben, Gehälter jedoch nicht.
Mitten in Deutschland befindet sich eine Welt, die weitgehend unbekannt ist. Es sind die Vorstandsetagen der großen Unternehmen. Die Manager haben eine eigene Sprache und einen eigenen Kodex; sie sind abgeschirmt durch Limousinen, gesonderte Aufzüge und VIP-Lounges. Es ist eine sehr männliche Welt, in der Frauen vor allem als Sekretärinnen vorkommen. Wie lebt es sich in dieser fremden Sphäre? Wie sind "die da oben"?
12 Gespräche mit deutschen Managern sollen nun ein "Psychogramm der deutschen Chefetage" liefern. Die Interviews führten die freie Journalistin Barbara Nolte und der stellvertretende Chefredakteur des Magazins der Süddeutschen Zeitung Jan Heidtmann.
Manche Aussagen sind durchaus erhellend. So erläutert der einstige Siemens-Chef Heinrich von Pierer, wie er früher geführt hat, indem er Demut vortäuschte: "Man sitzt da, senkt den Kopf." Danach müsse man ein wenig abwarten und die "indirekte Methode" anwenden, indem man nur Wie-Fragen stelle. Warum-Fragen seien verboten, denn das Warum sei psychologisch eine Aggression, da es alles in Zweifel ziehe. "Wenn Sie sich daran halten, so nach einer Dreiviertelstunde, werden auch die schwierigsten Kunden ganz normal und konstruktiv." Gelegentlich wird in den Gesprächen auch sichtbar, wie die internen Machtkämpfe funktionieren. Der einstige Telekom-Chef Kai-Uwe Ricke deutet an, dass eine Gewinnwarnung nur lanciert wurde, um ihn als Vorstandsvorsitzenden zu entsorgen.
Dieser Artikel ist aus der aktuellen vom 9./10.1.2010 - jeden Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.
Die Gespräche wurden durchaus konfrontativ geführt und doch liefern sie nicht viel mehr als Anekdoten. Denn die beiden Autoren haben sich zwar erkundigt, ob die Manager Schlaftabletten nehmen - dafür aber zentrale Fragen außen vor gelassen. So interessiert es sie nicht weiter, was es für die interviewten Manager bedeutet, dass die meisten von ihnen aus der Oberschicht stammen. Nie werden die Kontakte thematisiert, die beim Aufstieg nützlich waren. Kai-Uwe Ricke darf geradezu naiv darüber staunen, dass er nach seinem Studium sofort einen Job als Vorstandsassistent bei Bertelsmann bekommen hat. Dabei war sein Vater schon Telekom-Chef, der ihm den Besuch auf einer teuren Privatuni finanzieren konnte.
Seltsam ist auch, dass die beiden Autoren nicht systematisch danach fragen, wie die Unternehmensführer dazu stehen, dass ihre Gehälter in den vergangenen Jahren rasant stiegen, während die Reallöhne der normalen Arbeitnehmer sanken. Einzig von Pierer äußert sich konkret zu seinem Einkommen und darf treuherzig versichern, dass er "Siemens nie verlassen" hätte, auch wenn man ihm anderswo mehr als seine 2,5 Millionen Euro gezahlt hätte.
Das Buch hätte anschaulich vorführen können, was die Soziologie seit zehn Jahren theoretisch erforscht: wie sich die Eliten rekrutieren und nach unten abschotten. Diese Chance wurde leider verpasst.
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