Deutsche Bürokratie: Die 7-Cent-Katastrophe

Ich dachte, der Brief von den Stadtwerken mit der Jahresabrechnung wäre nicht weiter wichtig. Aber da habe ich mich gründlich geirrt.

Ein Stempelhalter steht neben einem Stapel Akten auf einem Schreibtisch in einer Behörde.

Behörden sind so sensibel wie unerbittlich: Wehe, wenn Sand ins Getriebe kommt Foto: dpa / Patrick Pleul

Meine Frau Eminanim wühlt im Papierkorb herum und fischt einen Zettel heraus. Dann schaut sie mich wütend an:„Osman, was ist das denn hier?“, zischt sie.

„Das ist Abfall“, kann ich nicht sagen. Dann wird sie nämlich noch wütender. Ich versuche von Weitem herauszubekommen, was für einen Zettel sie da in der Hand hält. Habe ich etwa aus Versehen unsere Heiratsurkunde in den Müll geschmissen? Weil ich immer noch doof durch die Gegend gucke, beantwortet sie ihre Frage selber:„Das ist die Jahresabrechnung von den Stadtwerken, Osman. Hier steht, dass wir unser Guthaben vom letzten Jahr sofort abholen sollen.“

„Ach so, das meinst du“, rufe ich erleichtert. „Ich weiß, wir haben ganze sieben Cent Guthaben. Die Leute würden mich ja auslachen, wenn ich bei der Bank einen Scheck über sieben Cent einlösen will.“

„Es geht nicht um sieben Cent. Es geht ums Prinzip! Durch das Nichtabholen des Guthabens blockierst du die ganze deutsche Bürokratie. Du weißt doch, was mit Hasans Familie damals passiert ist? Die wurde wegen irgendeiner Geschichte von 14 Cent brutal ausgewiesen.“

Jetzt erst fange ich an, den Ernst der Lage zu kapieren. „Osman, wie kannst du nur mit der Zukunft meiner Kinder spielen? Was für ein Rabenvater bist du eigentlich?“ Ich sage nichts. Ich bin mir meiner Schuld bewusst!

„Woher nimmst du dir eigentlich das Recht, das gesamte Computersystem der Bremer Stadtverwaltung zu blockieren? Die ganzen Verwaltungen hängen doch zusammen. Wenn du eine Stelle blockierst, bleiben die anderen auch stehen! In ganz Deutschland!“

„Die ganzen Verwaltungen hängen doch zusammen. Wenn du eine Stelle blockierst, bleiben die anderen auch stehen! In ganz Deutschland!“

„Das alles wegen meiner sieben Cent?“, frage ich zaghaft.

„Klar! Hier steht, dass heute der letzte Tag für die Abholung ist. Also beeil’ dich! Los! Los!“

Ich renne sofort nach draußen und halte ein Taxi.„Fahren Sie so schnell Sie können zur Bank! Es geht um Leben und Tod!“, brülle ich außer Atem.

So was werde ich nie wieder einem Taxifahrer sagen. Grün wie ein Frosch steige ich nach einer Kamikazefahrt aus dem Auto und schmeiße mich mit voller Kraft gegen die Tür der Bank – aber sie öffnet sich nicht. Ich bin genau zwei Minuten zu spät gekommen. Ich trommele mit beiden Fäusten auf der Tür rum und schreie wie wild:

„Ich will meine sieben Cent! Bitte, bitte, ich will meine sieben Cent!“

Doch alles umsonst. Ich fahre total enttäuscht wieder zurück. Aus dem Taxi beobachte ich, wie Deutschland langsam aber sicher in Schutt und Asche fällt. Die sieben Cent zeigen ihre katastrophale Wirkung. Alle Ampeln spielen verrückt. Rechts und links sehe ich einen Unfall nach dem anderen. Der Himmel bewölkt sich. Die Häuser zerfallen, die Arbeitslosen werden immer mehr und Friedrich Merz wird zum Kanzler gewählt. Vermutlich sitzt Eminanim schon mit den Kindern im Abschiebe-Flugzeug nach Istanbul.

Bei Allah, was habe ich nur getan?

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