Deutsch-türkisches Anwerbeabkommen: Sie sind stolz, Almanci zu sein
Deutschtürken haben Deutschland und die Türkei zum Besseren verändert. Trotzdem ecken sie in beiden Ländern bis heute oft noch an.
BERLIN taz | So richtige Feierstimmung ist nicht aufgekommen zum 50. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens. Dafür sind wohl einfach zu viele Deutsche der Meinung von Helmut Schmidt, der mal befand, dass es ein Fehler gewesen sei, einst so viele Türken ins Land geholt zu haben. Aber auch in der Türkei ist man nicht so richtig stolz auf die Auswanderer und deren Nachkommen. Viele dort empfinden die Deutschtürken als eine peinliche Verwandtschaft, die irgendwie aus der Art geschlagen ist.
Mögen viele Deutsche die Deutschtürken noch immer als "zu Türkisch" empfinden und mit Klischees von Ehrenmorden und Zwangsehen und "Kümmeldeutsch" verbinden - in der Türkei gelten sie Konservativen und Nationalisten als viel zu verdeutscht. Hier werden sie als "Kanaken" und "Kopftuchmädchen" beschimpft, dort als "Almanci" belächelt. Die Verbindung von "Alman" und "Yabanci", Deutscher und Ausländer, zu "Deutschländer" ist meist eher abfällig gemeint.
Dabei haben die Deutschtürken beide Länder, Deutschland und die Türkei, zum Besseren verändert und zur Modernisierung beider Gesellschaften beigetragen. Es wäre Zeit, das angemessen zu würdigen. Mit ihrer Arbeitskraft hat die erste Generation der türkischen "Gastarbeiter" zum Wirtschaftsaufschwung in Deutschland und zum sozialen Aufstieg der Eingeborenen beigetragen, in dem sie jene Arbeiten übernahm, welche diese nicht mehr machen wollten.
Sie haben die Deutschen, die das Fremde sonst gern tunlichst auf Distanz halten und bestenfalls im Urlaub durch die Kameralinse betrachten, allein durch ihre Gegenwart dazu genötigt, sich im Alltag an Vielfalt zu gewöhnen. Ohne es zu wollen, haben sie damit mehr Weltläufigkeit in die miefige, spießige Bundesrepublik von einst gebracht, nach der sich niemand zurücksehnen kann, der noch ganz bei Trost ist.
Den größten Einfluss hat diese Einwanderung zweifellos auf die deutsche Esskultur gehabt. Als immer mehr Türken aufgrund der Wirtschaftskrise in den Siebzigerjahren arbeitslos wurden, eröffneten viele einen Imbiss. Zwar hat die Kombination von Fladenbrot und Grillfleisch in der Türkei eine lange Tradition. Doch mit Salat und Soße, wie man ihn hierzulande kennt, ist er eine deutsche Erfindung. Es wäre an der Zeit, seinem Erfinder ein Denkmal zu bauen.
Die Mediterranisierung des Alltags vorangetrieben
Mit der zweiten Generation ist in Deutschland zudem eine ganz eigene, deutschtürkische Kultur entstanden - mit eigenen Codes, eigener Musik, einer eigenen Literatur, eigenem Theater, eigenem Film, eigener Mode und eigenem Humor. Die Wurzeln dieser Entwicklung gehen in jene Zeit zurück, als auf deutschen Straßen und in deutschen Jugendzentren der türkische HipHop geboren wurde.
Pioniere wie Islamic Force und Cartel begannen in den frühen Neunzigerjahren damit, Raptexte in türkischer Sprache zu ihren Beats zu reimen. Sie legten damit den Grundstein für das Genre, das erst mit etwas Verzögerung auch in der Türkei Früchte tragen sollte. Heute pilgert deshalb der größte Rapstar der Türkei, Ceza, andächtig nach Berlin, um den Wurzeln der Bewegung nachzuspüren.
Andere Besucher aus der Türkei sind dagegen oft geschockt, wenn sie der deutschtürkischen Kultur begegnen. Sie staunen, wenn in türkischen Diskotheken plötzlich, zu später Stunde, zum technoid aufgemotzten Halay-Volkstanz im Kreis getanzt wird. Sie rümpfen die Nase, wenn aus dem heruntergelassenen Autofenstern eines 3er BMWs laut anatolische Arabeskmusik ertönt. Manche Deutschtürken können ihre bäuerlichen Wurzeln nicht ganz verleugnen.
Doch sie haben dieses Land bereichert, indem sie die Mediterranisierung des Alltags vorangetrieben haben. Eine Vielzahl deutschtürkischer Comedians wie Bülent Ceylan oder Kaya Yanar schlägt heute aus der interkulturellen Verwirrung Kapital. Und türkische Friseure sowie Enthaarungssalons prägen heute das Aussehen der Großstadtjugend.
Sie haben auch mit dazu beigetragen, dass gezupfte Augenbrauen und rasierte Beine heute in Deutschland eine Selbstverständlichkeit sind - zweifellos ein wichtiger Beitrag zur ästhetischen Modernisierung der Republik.
Der enorme soziale Wandel, der Aufstieg von einfachen Gastarbeiterkindern zu Unternehmern, Künstlern und Wissenschaftlern vollzog sich in den Neunzigerjahren fast unbeachtet von einer breiten deutschen Öffentlichkeit. Es ist keine Frage, dass dieser Werdegang mit viel Schmerzen, Scheitern und Wut verbunden war. Doch diese Schmerzen, dieses Scheitern und diese Wut haben große Kunst hervorgebracht.
Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu brachte sich mit seinem Manifest "Kanak Sprak" in den Neunzigerjahren als literarisches "Sprachrohr" seiner Generation in Stellung. Heute ist er eine Art Elder Statesman all jener Autorinnen und Autoren, die sich längst nicht mehr auf Migrationsthemen beschränken und genauso gut über gärtnernde Nonnen oder das Landleben in der Lüneburger Heide schreiben.
Doch für sie alle gilt, was der Regisseur Fatih Akin nach seinem Durchbruch mit seinem Film "Gegen die Wand" fest stellte: "Wenn du Erfolg hast, dann wirst du in Deutschland als Deutscher und in der Türkei als Türke wahrgenommen. Wenn nicht, dann ist es umgekehrt".
Pioniere eines kulturellen Wandels
Ein Zentrum der deutschtürkischen Kulturszene liegt im Berliner Bezirk Kreuzberg, wo im Ballhaus Naunynstraße das erste "postmigrantische Theater" der Republik residiert. Dort hat man das türkische Schimpfwort "Almanci" in ein stolzes Aushängeschild verwandelt, unter dem man inzwischen sogar in Istanbul Gastspiele gibt.
Denn nicht nur in Deutschland, auch in der Türkei sind die Deutschtürken oft angeeckt. Dort beherrschen sie die Formeln der orientalischen Höflichkeit oft nicht so gut, auch mit den ungeschriebenen Regeln und Hierarchien tun sie sich schwer. Autoritäten anzuzweifeln, das haben sie schließlich in Deutschland gelernt.
Dabei kann die Türkei von Glück sprechen, dass sie ihre Arbeiter nach Deutschland schicken konnte. Bis heute profitiert das Land von seiner engen Bindung an diese Diaspora und von der Erfahrung der Rückkehrer, die ihr Know-how in den Tourismus und viele andere Branchen eingebracht haben. Das hat die Europäisierung des Landes von unten befördert - als Ergänzung zu der Europäisierung von oben, die oft eher äußerlich und oberflächlich war.
So wurden die Deutschtürken zu Pionieren eines kulturellen Wandels, der sich auch in der Türkei an der Jugendkultur ablesen lässt. Zum Beispiel an der Karriere des Sängers Tarkan: Als der, im rheinhessischen Alzey geboren, mit 14 Jahren mit seinen Eltern in deren Heimat "zurückkehrte", hatte er es in der neuen Umgebung anfangs schwer.
Mit seinem eigenwilligen Stil, seiner Unangepasstheit, seinem Hüftschwung, seinem metrosexuellen Look und seiner unverblümten Art, über Liebesdinge zu singen, sollte er jedoch in den Neunzigerjahren zu einem der größten Popstars des Landes aufsteigen, zum Trendsetter und Teenageridol. Viele andere deutschtürkische Sänger und Musiker folgten in seinen Fußstapfen und fanden am Bosporus Ruhm und Auskommen.
Dieser kulturelle Wandel, bei dem die Deutschtürken vorangingen, zeigt sich aber auch noch an einem anderen Detail. Mitte der Neunzigerjahre, als Cem Özdemir noch ganz am Anfang seiner Politikerlaufbahn stand, gab sich die türkische Zeitung Hürriyet noch schwer davon irritiert, dass der aufstrebende Grünen-Politiker einen Ohrring trug.
Doch nun eilt sogar dem neuen Botschafter der Türkei in Deutschland, Hüseyin Avni Karslioglu, der demnächst seinen Dienst in Berlin antreten soll, der Ruf voraus, er trage zu seiner wallenden blonden Mähne einen Ohrstecker. So ändern sich die Zeiten.
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