Deutsch-türkische Sonderausgabe: Für die Pressefreiheit und ihr Gemüse
Die taz hat am Tag der Pressefreiheit die türkisch-deutsche Sonderausgabe am Maybachufer verteilt. Die Resonanz: eher durchmischt. Ein Besuch
Dienstagmittag auf dem Wochenmarkt am Maybachufer, besser bekannt als Türkenmarkt: „Hallo, bittschön, hallo, bittschön“, rufen die Marktschreier den Passanten zu. Einige taz-Mitarbeiter verteilen die zweisprachige Sonderausgabe taz.die günlük gazete zur Pressefreiheit in der Türkei.
Die meisten Flaneure gehen wortlos vorbei. Einige bleiben stehen, erzählen, dass sie von der Ausgabe heute Morgen im Fernsehen gehört haben. Eine Frau mit Kopftuch möchte die Zeitung sogar kaufen. Für ihre Tochter. Der Gemüsehändler R. Koc will die Zeitung nicht haben. „Ich sag Ihnen eins: Erdoğan ist ein Psychopath. Ein Verrückter. Aber wir brauchen Psychopathen.“ Am Ende nimmt er dann doch ein Exemplar.
Auch Abdulrahman Arpaci will die Zeitung nicht haben. „Ich kann kein Türkisch lesen. Nur Kurdisch.“ Er macht seine Trainingsjacke auf und zeigt eine Kette mit Anhänger: eine Kurdistan-Landkarte aus Metall. „Erdoğan tötet! Schreiben sie das. Dann lese ich sie auch“. Viele Gemüsehändler nehmen die taz und wickeln ihr Gemüse darin ein oder reagieren so wie der türkische Olivenverkäufer: „Keine Zeit zum Lesen. Auch nicht nach Feierabend.“ Einer sagt: „Gehen Sie mal da rüber. Da sind die Experten.“
Drüben ist einer der größeren Gemüsestände. „Wer ist hier der Experte?“ „Cemal, komm mal her!“ Der Mitte 50-Jährige ist Kurde. Ein Linker. Er hat schon zwei taz-Ausgaben unter seinem Tisch. „Das ist gut, dass Sie das machen. Erdoğan ist ein Problem. Aber Frau Merkel auch. Sie erlaubt Erdoğan, Krieg zu führen und die Presse zu verbieten.“ – „Erdoğan ist egal, und Frau Merkel ist die Beste“, meint Mustafa, der Nussverkäufer. Sein Kollege, der eine taz auf seine Theke gelegt hat, sagt: „Ich interessiere mich nicht für Politik. Aber ich glaub, dass Erdoğan alles richtig macht. Fast alles. Aber ich hab keine Ahnung. Heut Abend les ich Ihr Blatt. Vielleicht werd ich dann schlauer.“
Der Kulti-Multi-Markt
Ein deutscher Kaffeeverkäufer guckt in seinem iPad nach, wie der Türkenmarkt offiziell heißt: „Wochenmarkt am Maybachufer. Aber die Marktbetreiber sprechen selbst von Türkenmarkt.“ „Ich mag das Wort nicht“, sagt Tülay.
„Außerdem ist es schon lange ein Kulti-Multi-Markt. Junge Deutsche mit selbst gestrickten Sachen und so.“ Tülay, die in Wittenau lebt, hat hier einen kleinen Tee- und Mokkastand. „Es ist ein freies Land. Sie können schreiben, was Sie wollen. Aber es ist alles immer halb, halb. Halb richtig, halb falsch. So ist es auch in der Türkei.“ Sie selbst liest die deutsche Ausgabe der Hürriyet. „Da ist auch alles halb, halb. Also nicht so schön.“
Ein Hühnchenverkäufer ruft dazwischen: „Erdoğan! Erdoğan! Sie haben doch keine Ahnung. Aber ich freu mich, dass Erdoğan so viel Aufmerksamkeit bekommt.“ Wir auch. Die 500 Ausgaben der taz waren in einer halben Stunde verteilt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!