Deutsch-türkische Magazine: Nachrichten aus der Partygesellschaft
Magazine wie "Hey Berlin" zeigen den Lebensstil einer selbstbewussten türkischstämmigen Mittelschicht. Die deutsche Gesellschaft hat ihnen ihre Türen kaum geöffnet - sie bauten sich eigene Karrierewege auf.
BERLIN taz | Brautpaare auf goldenen Stühlen, die Braut in Weiß und mit kunstvoll getürmtem Haar, der Bräutigam mit Brokatweste oder Frack, Gäste in eleganten Anzügen und schulterfreien Abendkleidern. Kopftuch trägen höchstens die Großeltern. "Hülya und Cetin Avcis Tochter Gül betraten mit Ebru und Ali Tans Sohn Metin das Haus der Welt - mit einer prachtvollen Feier verbanden die beiden ihre Leben. Ihre Verwandten und Freunde ließen sie dabei nicht allein." Feierlich und förmlich klingen die kurzen türkischsprachigen Texte zu den Bildern im Hey Berlin-Magazin.
"Bei uns haben Hochzeiten einen anderen Stellenwert als bei den Deutschen", erklärt ein Bräutigam, dessen "Eintritt ins Haus der Welt" in dem Hochglanzblatt abgebildet ist. Bei Deutschen sei das Heiraten Privatsache: "Bei Türken ist die Hochzeit eine öffentliche Angelegenheit." Die allen kundgetan werden soll - auch denen, die zu den Feiern mit immer mehreren hundert Gästen nicht kommen konnten. Er selbst sei "eigentlich flexibel, was solche Traditionen betrifft", sagt der in Berlin aufgewachsene, akademisch gebildete Unternehmer: "Aber bei Hochzeiten wird das eben so erwartet."
Von diesen Erwartungen lebt Hey Berlin. 100 Seiten dick ist das monatlich erscheinende Magazin, dessen Design an die Gala erinnert. Ein Drittel füllen Fotoreportagen über Verlobungen, Hochzeiten oder Beschneidungsfeiern, deren Bilder kleine Jungen mit strass- und goldverzierten Kappen und federgeschmückten Umhängen zeigen. Auch über Geschäfts- oder Restauranteröffnungen, türkische Partys in den Clubs der Hauptstadt oder kulturelle Events wie Konzerte oder Auftritte türkischer Stars in Berlin wird berichtet - etwa den des TV-Showmasters Beyaz im Berliner Tempodrom: Superstar Beyaz ist die türkische Entsprechung zu Stefan Raab (der auch in seiner Show schon aufgetreten ist). Dass zur Berliner Beyaz-Show nur 3.000 Leute kamen, hat Hey-Herausgeber Volkan Karadeniz enttäuscht: "In Köln waren es 5.000!" Da gehe auch in Berlin noch mehr, meint er - und will mit seiner Zeitschrift dazu beitragen.
Dieser Artikel ist aus der aktuellen vom 2./3. Juli 2010 – ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk.
Hey ist das Medium einer neuen türkischstämmigen Society in Berlin. Das Magazin bildet ein Einwanderermilieu ab, das nicht nur stetig wächst, sondern sich auch zunehmend selbstbewusst präsentiert: Ökonomisch erfolgreiche, meist junge DeutschtürkInnen, oft selbständig oder in Unternehmen tätig, die wiederum DeutschtürkInnen gehören. Die deutsche Gesellschaft hat ihnen ihre Türen kaum geöffnet - sie haben sich eigene Karrierewege aufgebaut. Und zeigen mit ihrem in Hey präsentierten Lebensstil nun den Integrationsvorstellungen der Mehrheitsgesellschaft die lange Nase - indem sie zu dem stehen, was sie von ihrer Tradition zu behalten gedenken: die Art, zu heiraten, Feste zu feiern etwa, die Sprache, den Humor, die Musik. Ohne sich dabei in einer nach außen verschlossenen "Parallelgesellschaft" zu verstecken:
Längst wird etwa die Hochzeit der Tochter eines bekannten Unternehmerehepaars nicht mehr im traditionellen Hochzeitssalon gefeiert (der meist schon aus Platzgründen abseits im Industriegebiet liegt), sondern im noblen Fünfsternehotel. Und doch werden dem Brautpaar nach türkischem Brauch Geldgeschenke an Kleid oder Anzug geheftet, wird nach dem Walzer der traditionelle Halay getanzt. Deutsche Ehepartner - keine Seltenheit bei den Hey-Berichten - und deutsche Gäste werden integriert. Und das junge Partyvolk feiert nicht mehr unter sich in türkischen Discos: Es mietet dafür die angesagten Clubs der Hauptstadt. Unter den Bildern der feiernden Schönen, die Hey später abbildet, fehlen aber - anders als in deutschen Szenemagazinen - die Namen: "Das könnte die Familien stören", sagt Karadeniz.
Er kennt die Etikette seiner Zielgruppe - und gehört doch selbst nur bedingt dazu. Jung und erfolgreich ist der Hey-Chef auch: Seinen weißen Geländewagen schmückt zur Fußball-WM eine Deutschlandfahne, die über das ganze Dach bis zum Rückfenster reicht. Hier aufgewachsen wie die Mehrheit seiner Zielgruppe ist der 32-Jährige aber nicht. Erst vor zehn Jahren kam Karadeniz aus der Türkei nach Deutschland - aus Kayseri, einer Stadt, deren Bewohner für ihr Unternehmertalent berühmt sind. 2004 gründete er Hey. Heute beschäftigt das in 10.000 Exemplaren monatlich erscheinende Magazin sieben Angestellte. Und lebt dabei ausschließlich von Werbung: Die Hälfte der Seiten füllen Anzeigen von Schönheitssalons, Möbel- und Modegeschäften, Sicherheitsdiensten, Handyshops, Clubs und Restaurants meist türkischstämmiger InhaberInnen. 600 bis 1.000 Euro kostet eine Werbeseite - je nach Aufwand bei Gestaltung und Druck.
Doch Hey bekommt Konkurrenz. Seit sechs Monaten ist K-Lite auf dem Markt: Etwas kleiner im Format, ebenfalls auf Hochglanzpapier gedruckt, bringt das Magazin weniger Hochzeits-, dafür mehr Party-, Club- und Konzertberichte und auch längere Texte zu Themen wie Schönheit ("Abnehmen ohne Diät"), Wellness ("Energie und Heilung: Reiki") oder Paarbeziehungen ("Wie spricht man mit Frauen") in türkischer Sprache. Auch K-Lite lebt von Werbung und liegt wie Hey kostenlos in türkischen Geschäften, Restaurants oder Clubs aus. Pasha, neun Monate alt, verzichtet ganz auf Berichte über Familienfeste und bietet dafür Texte über - türkische und internationale - Stars, Konzerte, Mode oder auch das erste FKK-Hotel in der Türkei. Das "Berliner Lifestyle Magazin", erscheint auf Deutsch, wirbt aber fast ausschließlich für Firmen türkischstämmiger UnternehmerInnen - und damit auch für sich: "Direkt-Marketing für ethnische Zielgruppen" heißt es in der Eigenwerbung.
Auch Mehmet Zaglis deutsch-türkisches Stadtmagazin Merhaba finanziert sich durch Werbung. Und überlebt damit schon seit 14 Jahren. Merhaba - auf Deutsch schlicht: "Guten Tag" - kommt optisch bescheidener daher als die neuen Hochglanzmagazine. Doch als Konkurrenz betrachtet Zagli die nicht: Sie befriedigten "das Informationsbedürfnis der Partygesellschaft", sagt der 44-Jährige in Berlin aufgewachsene Germanist und gelernte Journalist: "Wir machen seriösen Journalismus."
Merhaba berichtet über Politik-, Kultur- und Sportthemen, die türkischstämmige Berliner interessieren - die türkische Filmwoche, neue türkischsprachige Buchläden oder die türkischstämmigen Abgeordneten im Berliner Parlament. Eine Serie über "Die, die Spuren hinterlassen" porträtiert frühe EinwanderInnen aus der Türkei. "Wir haben unser Publikum ans Lesen gewöhnt", sagt Zagli: Früher habe auch er viel mehr mit Bildern gearbeitet. Dann seien die Texte immer länger geworden: "Und die Leser sind mitgewachsen."
Zagli sieht den Markt für lokale, auf türkisches Publikum zielende Medien wachsen: Früher habe die Tageszeitung Hürriyet in Berlin über 10.000 Exemplare verkauft - heute seien es noch 3.000, die Zeitung Milliyet hat ihre Deutschlandausgabe kürzlich ganz eingestellt. "Die Leute bekommen Nachrichten aus der Türkei aus dem Fernsehen - und das Lokale von uns", sagt Zagli. Merhaba textet überwiegend türkischsprachig - und deutsch, wenn es um Themen geht, die die jüngere Generation betreffen. "Viele Junge können nicht mehr so gut Türkisch", sagt Zagli - und bedauert das etwas, denn mit Merhaba will er auch ein bisschen Sprachpflege betreiben.
Ob auch Hey irgendwann deutsch texten muss: Diese Frage beschäftigt Volkan Karadeniz wenig. Deutsch spricht der Hey-Herausgeber selbst immer noch kaum - mit Deutschen hat er einfach zu wenig zu tun. Dafür gebe es in Berlin kaum noch türkischstämmige Geschäftsleute, die er nicht kenne, sagt Karadeniz: "Aber alle kennen mich." Nun denkt er über Expansion nach: Hey soll bald auch in anderen deutschen Städten erscheinen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste