Deutsch-japanischer Börsengeist

Die Mentalität deutscher und schweizerischer Broker in Tokio hat sich dem Skandalsumpf angepaßt: Man beklagt die geschaßten Kollegen  ■ Aus Tokio Georg Blume

Der US-amerikanische Aktienspezialist Robert Zielinski, derzeit für das englische Wertpapierhaus „Jardine Fleming“ in Tokio tätig, hat eines der wenigen kenntnisreichen und selbstrecherchierten Bücher über den japanischen Börsenmarkt geschrieben: Unequal Equities. Der geneigte Leser erfährt dort gleich auf der ersten Seite: „Im Gegensatz zu Sony und Toyota ist die Industrial Bank of Japan nicht einmal für die Japaner ein allseits bekannter Name.“ Schon im ersten Satz läßt Zielinski jene Ehrfurcht erkennen, die in Japan bislang immer dann mitspielte, wenn von der „zweifellos mächtigsten Firma Japans“ die Rede war.

Vergangene Woche aber beherrschte die Industrial Bank of Japan die Schlagzeilen: Ihr Vorsitzender trat aufgrund unzulässiger Kreditzahlungen in Höhe von drei Milliarden DM zurück. Die IBJ galt als eine der Erfinderstätten des japanischen Wirtschaftswunders. Seit Kriegsende leitete die Bank in enger Abstimmung mit der Regierung die Kredite an die neuen, ausbaubedürftigen Industrien weiter. Neben dem MITI, dem für seine erfolgreiche Industriepolitik berühmten Tokioter Ministerium, war die Industrial Bank stets das Zentrum japanischer Wirtschaftsplanung. Doch nun ist dieser Ruhm fürs erste verpufft. Sogar Yoh Kurosawa, der gefeierte Chefmanager der Bank, mußte sich eine Gehaltskürzung um 50 Prozent über sechs Monate verpassen. Alle einflußreichen Konzernfürsten des Landes, von denen wohl auch in Zukunft keiner die großzügige Behandlung durch die IBJ missen möchte, konnten nur mit Bestürzung reagieren. Doch einer freute sich: der Aktienanalytiker Robert Zielinski.

Beim Hamburger- Lunch in Tokios teuerstem Hotel strahlte dieser New Yorker vor Vergnügen, als er von seinen letzten Begegnungen mit den IBJ-Offizieren erzählte. „Wie die jetzt ihre Köpfe hängenlassen“, spottete Robert, „nachdem sie jahrelang über allen anderen schwebten. Ihr Bewußtsein ist so unglaublich tief gekränkt.“ Seine Belustigung wird um so verständlicher, wenn man weiß, daß seine Firma, Jardine Fleming, ihre Tokioter Geschäfte mit großen japanischen Anlegern innerhalb von eineinhalb Jahren verdoppeln konnte. Dieser Erfolg ist den Schandtaten der Industrial Bank oder anderer Geldinstitute nicht gänzlich fremd. Als ausländisches Wertpapierhaus profitierte Jardine Fleming nämlich vom neuen Mißtrauen, das die Kunden nach Börsensturz und Bankenskandalen den japanischen Finanzinstitutionen entgegenbringen. Fast müßte man nach all den Skandalen „made in Japan“ meinen, daß heute alle ausländischen Broker und Bankiers in Tokio so glücklich sein müßten wie Robert Zielinski. Doch weit gefehlt.

Besonders die deutschen und schweizerischen Bankhäuser in Tokio tun jetzt geradezu so, als ob sie mit der Industrial Bank seit jeher in einem Boot säßen. Statt sich wie Jardine Fleming aus den neuentstandenen Marktlücken zu bedienen, klagen die behäbigen Deutschen und Schweizer lieber über die allgemeine Flaute im Tokioter Börsengeschäft. Nun ist gerade Yoh Kurosawa, der angeschlagene Chefmanager der IBJ, unter den deutschen Branchengängern in Tokio deshalb so beliebt, weil er unsere Sprache zumindest leidlich beherrscht. So schwingen sich manche gar zu Verteidigungsreden auf: „Nein, für mich gibt es keinen neuen Umgang mit Yoh Kurosawa“, entrüstet sich Peter Brutsche, der Leiter der größten Schweizer Bank in Tokio. „In Japan fallen die Entscheidungen doch auf sehr tiefem Niveau, so daß die Spitze davon nichts weiß.“ Die Reaktionen der deutschen und schweizerischen Banken auf die Tokioter Skandalwelle zeigen mit erstaunlicher Deutlichkeit, wie weit diese Institutionen sich bereits den Tokioter Verhältnissen angepaßt haben. Statt die Unfreiheiten und Ungerechtigkeiten zu beklagen, die im Zuge der Skandale hervortraten, schweigen Deutsche und Schweizer lieber still. Im Gegensatz vor allem zu den US-amerikanischen Brokerhäusern, die nun sogar fordern, endlich auch in Tokio die bislang festgelegten Kommissionen für den An- und Verkauf von Wertpapieren freizugeben. Damit würden dann diejenigen einmal belohnt werden, die in Japan bisher immer die Betrogenen sind: nämlich die Privatanleger und Kleininvestoren.

Die Fronten nach dem Tokioter Börsengewitter sind also erstaunlich klar gezeichnet: auf der einen Seite die angelsächsische Ideologie des freien Wettbewerbs, auf der anderen Seite die industriepolitische Kontrollmentalität von Industrial Bank, Deutscher Bank und den Schweizer Banken. Komisch doch, wie schnell sich deutscher und japanischer Geist in einer Krisensituation zusammenfinden.