Deutsch-italienischer Film „Drei Zinnen“: Nur ein Fels hält das aus
Beherrscht vom Klang der Stimme und der Leere von Worten: Jan Zabeils Spielfilm „Drei Zinnen“ über die Nöte einer Patchworkfamilie.
Ein Massiv am Rande der Dolomiten, das aus drei Gipfeln besteht. Drei Gipfel sind dreimal so gefährlich wie einer und damit auch dreimal so interessant. Monumental und anrührend aus der Entfernung, doch aus der Nähe betrachtet karg und unwirtlich. Nach diesen „Drei Zinnen“ heißt auch der neue Film von Jan Zabeil, einer der vielversprechenden jungen Stimmen des deutschen Kinos.
Irgendwo zwischen den drei Berggipfeln ist Aaron (Alexander Fehling) ausgerutscht und gestürzt, jetzt sitzt er mit Tristan (Arian Montgomery), seinem Stiefsohn in spe, am Lagerfeuer. Sie haben sich gemeinsam für den Ausflug entschieden, ohne das Wissen von Tristans Mutter Lea (Bérénice Bejo). Und da sind sie nun, irgendwo im Nebel. Sie müssen gemeinsam die Nacht überstehen.
Ein Mann und ein Junge, die miteinander und voneinander isoliert sind, weil sie etwas miteinander zu klären haben. Es könnte eine Liebe entstehen, aber immer wieder kommt es zwischen den beiden zu Verletzungen. Dann sagt der Junge mit einer distanzierten Stimme und einem etwas abfälligen Tonfall: „Du kannst so viel, das ist nicht normal.“ Es vermischen sich Bewunderung und Missgunst. Eine Missgunst, die immer wieder ins Aggressive umschlägt.
Aaron kann mehr als Tristans Vater und Tristan hat Angst, seinen Vater wegen Aaron zu verlieren. Denn Lea, die mag Aarons Muskeln. Jan Zabeil erzählt in seinem neuen Film von einem Gebilde aus drei Menschen, bei dem Gefahr eine Rolle spielt. Sie sind in die Berge gefahren, um zu einer neuen Familie zu werden. Doch der Versuch droht zu scheitern.
„Drei Zinnen“. Regie: Jan Zabeil. Mit Alexander Fehling, Bérénice Bejo, Arian Montgomery u. a. Deutschland/Italien 2017, 94 Min.
Wenn Fehling als Aaron mit dem Jungen spricht, wirken seine Sätze oft wie aufgesagt. Zabeil hat ihm beim Schreiben des Drehbuchs eine Sprache in den Mund gelegt, die nicht selten gestelzt wirkt. Das passt, weil der junge Mann mit dem Kind keinen Umgang findet. Er wünscht sich manchmal, dass Tristan verschwindet. Das gibt er sogar zu, in einem der gefühlvolleren Momente. Naturalistisch wirkt seine Rede aber auch da nicht.
Sein echter Vater ruft an
Der Schauspielduktus der Sprache fällt manchmal weniger auf, weil die drei Menschen miteinander drei Sprachen sprechen. Immer wieder wechselt sich das Deutsche mit dem Französischen und Englischen ab. Und dann taucht eine vierte Sprache auf, die keine menschliche ist. Sondern eine unnatürliche: Tristan hat ein Telefon, das immer wieder von außen dazwischen klingelt. Sein echter Vater ruft an, zwei oder drei Mal am Tag.
Und es gibt noch einen unbekannten Menschen im Hintergrund, in der Zukunft: Aaron und Lea hätten gerne ein Kind. Den jungen Tristan bringt das aus dem Gleichgewicht, macht ihn wütend auf seine Mutter und ihren neuen Geliebten.
Jan Zabeil war Kameramann, bevor er sich stärker der Regie zuwandte. Wie sein erster Langfilm „Der Fluss war einst ein Mensch“ ist auch „Drei Zinnen“ stark vom Bild her gedacht. Die Szenen sind voller bedeutungsschwangerer Bildkompositionen und visueller Versuchsanordnungen. Die Mausefalle neben dem Bett. Das Kind mit verbundenen Augen in den Bergen. Einige Bilder wirken gewollt in ihrer Absicht, eine formale Konsequenz zu errichten.
Liebe als körperliches Kräftemessen von Mann und Kind
„Drei Zinnen“ ist spröde und von einer entschiedenen künstlerischen Massivität. Der Film fühlt sich verschlossen an, manchmal stur und statisch. Und nie klaustrophobisch, trotz Berghütte. Fehlte da das Gespür für den Innenraum der Berghütte, in dem die Familie wohnt? Erst in den Bergen scheint sich Zabeil wohl zu fühlen, findet zu einer kraftvollen, sich öffnenden Schlusssequenz. Drastische Intimitäten in der steinigen Felslandschaft. Die grenzüberschreitende Natur von Liebe als körperliches Kräftemessen von Mann und Kind. Ein Kampf.
Sogar die ganz markante Kettensäge wird ausgepackt in einem Wutmoment. Ein Film der Offensichtlichkeit und Klarheit: Wer liebt, kann zerschellen und von einem anderen zerschlagen werden. In „Drei Zinnen“ finden sich Ängste vor dem Absturz des zarten Familienglücks, tiefe Täler der unausgesprochenen Verunsicherung. Da sind Krämpfe in den Figuren, die sich nicht so einfach lösen lassen. Immer wieder verschließen sie sich.
Da sind Anspannungen aus vergangenen Beziehungen und auch ganz frische. Zabeil verrät nicht viel Konkretes über die Vorgeschichte dieser Leute. Nur die Dauer wird einmal klar: Von zwei Jahren Beziehung spricht Aaron, als er Lea bittet, seine Liebe zu ihrem Jungen zuzulassen. Nein. Ein klares Nein.
Sein Gesicht bleibt undurchschaubar
Wieder einer der stärkeren Momente Fehlings, wo beinahe ein Gefühl durchscheint. Doch sein Gesicht bleibt undurchschaubar und wirkt unangenehm versöhnlich. In dem Gespräch reden sie Englisch, die Sprache der internationalen Kommunikation. Sie taugt hier nicht einmal, um einen Raum zu überbrücken.
Das Versagen ist keines der Inszenierung, sondern ein strukturelles. Das zivile Miteinander-Umgehen interessiert Zabeil offensichtlich weniger als das rohe, losgelöste Aufeinandertreffen von Menschen in der Natur. Das war schon im vorherigen Film so, als ein Schauspieler Afrika bereiste und mit der Landschaft verschwimmt.
Nun rufen sich Aaron und Tristan in den ersten Momenten von „Drei Zinnen“ unter Wasser Worte zu, die sie nicht verstehen können. Beide verbindet die Liebe zu Lea und doch werden sie sich in dieser Liebe nicht einig. Sie müssen eine Verbindung zueinander erst finden. Eine Verbindung jenseits ihrer Rollen als Liebhaber und Sohn, jenseits der Sprache.
Reden scheitert als Orientierungshilfe
Selbst drei Sprachen reichen nicht aus. Reden scheitert als Orientierungshilfe. In den Bergen hallen die Stimmen von den Felswänden und werden zum irreleitenden Echo, zur Manipulation, zum Trugschluss. Ein Film, der durchzogen ist vom Klang der Stimme und der Leere von Worten. Ein Resonanzraum.
Zabeils Film soll das Essenzialistische im Menschen verhandeln, nicht dessen Fähigkeit zum sinnhaften Ausdruck. Vielleicht funktionierte aus diesem Grund auch bereits sein Langfilmdebüt „Der Fluss war einst ein Mensch“ so gut im internationalen Blick.
Zabeil gehörte Anfang der Dekade zu den wenigen deutschen Regisseuren, die bei den anspruchsvollen Filmfestivals wie etwa Rotterdam wahrgenommen wurden. Er bekam eine Einladung ins Filmprogramm des Museum of Modern Art. Er wurde beim Festival von San Sebastián mit dem „New Directors Award“ ausgezeichnet und mit 50.000 Euro belohnt. Ohne den Preis wäre es vermutlich schwer gefallen, die Kosten eines Films aufzufangen, der noch deutlich widerständiger war als nun „Drei Zinnen“. Denn im Kino startete „Der Fluss war einst ein Mensch“ nur in drei Ländern.
Ein gehässiger Feigling und Manipulator
Zabeils neuer Film lief in Locarno, wo sich die Bilder bei der Weltpremiere vor den 8.000 Sitzplätzen des großen Piazza-Grande-Kinos unter freiem Himmel beweisen mussten. Wie im Film das Kind inszeniert wird, hat bei den vielen Leuten sicherlich Fragen aufgeworfen und Irritationen provoziert. Zabeil ist mutig, weil er den Jungen so unsympathisch und kalkulierend zeigt. Ein gehässiger Feigling und Manipulator, der aber auch schwach ist und es eben nicht besser weiß.
Tristan weckt unangenehme Gefühle, die beim Zwischenmenschlichen im Kino oft ausgespart werden. Und die Gefühle in all ihren Extremen schwanken, sind unberechenbar, mitunter radikal und zerstörerisch. Nur ein Fels hält das aus. Der Mensch hingegen wird immer wieder umgeworfen.
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