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Deutsch-chinesische Experimente

■ Wissenschaftler testeten genmanipulierte Viren an Kindern aus

An chinesischen Kindern probierten Wissenschaftler einen in Deutschland entwickelten Lebendimpfstoff gegen Krebs aus. Das Anti-Krebsmittel, das aus genmanipulierten Kuhpockenviren bestand, war mehreren Kleinkinder im Alter von ein bis drei Jahren unter die Haut geritzt worden. Mit dem Experiment wollte ein deutsch-chinesisches Forscherteam überprüfen, ob eine Impfung gegen das Epstein-Barr-Virus möglich sei. Dies gab der an dem Projekt beteiligte Virologe, Professor Hans Wolf von der Universität Regensburg, auf einem Kongreß in Frankreich bekannt. Einwände dagegen weist Wolf zurück. Für ihn „wäre es unverantwortlich, diesen Weg nicht zu beschreiten.“ Gehe es doch darum, eine tödliche Krankheit zu bekämpfen.

Das Epstein-Barr-Virus ist über den ganzen Erdball verbreitet. Etwa 90 Prozent aller Erwachsenen haben sich nach den Erkenntnissen der Mediziner in ihrer Jugend damit angesteckt. Nach einer Infektion reagiert der Körper gewöhnlich mit grippeähnlichen Symptomen. Das Virus steht aber auch in dem Verdacht, im Zusammenspiel mit anderen Faktoren, Krebs im Hals-Nasen-Bereich auszulösen. Diese Krebsart ist vor allem in einigen Regionen von China sehr häufig.

Bei der Entwicklung des Impfstoffes griff das deutsch-chinesische Wissenschaftlerteam auf die abgeschwächte Variante des Kuhpockenvirus zurück, die bis Ende der 70er Jahre zur Pockenimpfung verwandt wurde. Mit Hilfe gentechnischer Methoden schleusten sie in den Kuhpockenerreger die Erbinformation für ein Hüllprotein des Epstein-Barr-Virus ein. Mit diesem Mix-Virus sollte das Immunsystem der geimpften Personen dazu gebracht werden, einen Infektionsschutz gegen das Krebsvirus aufzubauen.

Wolf schätzt die Ergebnisse als Erfolg ein. Nur bei drei von neun geimpften Kindern konnten die Wissenschaftler eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus nachweisen. Die Kinder der unbehandelten Kontrollgruppe waren dagegen alle infiziert. Für Wolf ist damit „das erste Mal überhaupt ein Beweis erbracht worden, daß es möglich ist, auf diesem Weg eine Virusansteckung zu verhindern“.

Daß diese Lebendimpfstoffe nicht unbedenklich sind, ist aus der Fachliteratur bekannt. Bei Pockenimpfungen ist es in einigen Fällen zu schweren Krankheitsausbrüchen gekommen. In vielen Forschungseinrichtungen wird seit dem Einzug der Gentechnologie an ähnlichen Impfstoffstrategien mit dem Kuhpockenerreger gearbeitet. Seitdem sind vermehrt Infektionen bei LabormitarbeiterInnen aufgetreten. Wie aus verläßlicher Quelle gegenüber der taz verlautete, soll es unter anderem im vergangenen Jahr bei einer Mitarbeiterin des Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie in Heidelberg zu einem Krankheitsausbruch gekommen sein. Das am Bundesgesundheitsamt angesiedelte Expertengremium für Gentechnologie, die Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit, sah sich daher zu der „Empfehlung“ veranlaßt, „an Arbeiten mit dem Kuhpockenerreger nur Personen zu beteiligen, die gegen Pocken geimpft sind“.

Die deutsch-chinesischen Experimente mit dem Kuhpockenerreger sollen wegen des Risikos auch fürs erste „auf Eis gelegt werden“. Der Regensburger Wissenschaftler will jetzt überprüfen, ob auch das Hüllprotein allein, ohne den Kuhpockenerreger als Vermittler, eine Immunreaktion auslösen kann. Eine gentechnische Methode um die Virusproteine herzustellen, hatte er schon vor mehreren Jahren entwickelt. Nur damals interessierte sich keiner für diese Arbeiten. Jetzt hätten aber auch die „großen Impfstoffhersteller“, so Wolf, Interesse an seiner Forschung. Das ist nicht verwunderlich, denn mit einem weniger risikoreichen Impfstoff gegen das Epstein-Barr-Virus, den auch die Europäer oder die Amerikaner akzeptieren würden, winkt ein Markt von jährlich über zehn Millionen Impfungen. Wolfgang Löhr

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