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Deutsch-Türken als BäckerMeistens kleine Brötchen

Viele deutsch-türkische Einwanderer eröffnen Backshops - weil sie glauben, dass damit leicht Geld zu verdienen sei. Viele unterschätzen den Arbeitsaufwand.

Gibts immer häufiger: Billige Backwaren Bild: dpa

Seit sieben Uhr morgens steht Nihan Akyol hinter der Theke des "Backufer" in Moabit. Die schlanke Mittdreißigerin mit den kinnlangen, schwarzen Haaren wuchtet ein heißes Blech aus dem Backofen und schüttet die warmen, duftenden Schrippen behände in die Auslage. Hinter ihr im Regal liegen Körnerbrötchen und Croissants in Körben. In der Glastheke davor warten Obstkuchen, süße Teilchen und belegte Brötchen auf Käufer.

Eine Nachbarin betritt den Laden, bestellt einen Kaffee und hofft auf einen nachbarschaftlichen Plausch. Doch Nihan Akyol hat kaum Verschnaufpausen, immer wieder kommen Kunden in den Laden. Vor drei Monaten hat sie das Geschäft mithilfe ihres Mannes Kenan Akyol eröffnet. Der Politologe war ein Vierteljahr zuvor arbeitslos geworden; seine Frau, studierte Wirtschaftswissenschaftlerin, hatte bisher die beiden kleinen Söhne betreut. Zu dem Backshop kamen sie wie die Jungfrau zum Kinde.

Als "spontane Eingebung" würde sie ihre Geschäftsidee bezeichnen, berichtet Nihan Akyol. Denn mal eben Brötchen holen gehen, das war für Familie Akyol ziemlich umständlich: Der nächste Bäcker war zehn Minuten zu Fuß entfernt. Als dann das Architekturbüro unter ihrer Wohnung auszog, fragte sie die Dame von der Hausverwaltung, ob hier ein Bäcker einziehe. "Und wenn nicht, mach ich das", habe sie ihr lachend vorgeschlagen, erzählt Nihan Akyol. Die Hausverwaltung stimmte prompt zu - und gab den Akyols zwei Tage Bedenkzeit. "Bei einer Frist von einer Woche hätten wir unser Angebot sicher wieder zurückgezogen", fügt ihr Mann Kenan hinzu.

Zu kompliziert erschien es ihm, eine Schnellbäckerei aufzuziehen. Das Inventar musste gesucht und gefunden werden. Sie befragten Bekannte, die schon länger Backwaren verkauften, sammelten Angebote und probierten sich durch die Kuchenangebote der Großhändler. "Morgens brachten wir die Kinder in Schule und Kindergarten, dann rannten wir wie die Irren durch die Stadt", erzählt der 40-Jährige. Die Geräte und Regale hätten sie aus zweiter Hand gekauft - aus Kostengründen. Kenan Akyol erstellte auf Anraten des Arbeitsamtes Mitte zudem einen Businessplan. Er bekommt nun 15 Monate lang einen Gründungszuschuss vom Amt.

Morgens um vier Uhr ist für die beiden nun die Nacht vorbei. Brötchen und Croissants müssen aufgebacken werden, damit um sechs Uhr, wenn die ersten Kunden kommen, bereits Ware in der Theke liegt. Immerhin leisten sie sich eine Angestellte: Eine junge Frau schließt in der Früh auf und bedient. Das Paar genießt nun etwas mehr Zeit mit den Kindern am Morgen. Dennoch scheint der Spruch "Selbstständig heißt, selbst und ständig zu arbeiten", ihr momentanes Lebensmotto zu sein.

Wie ihnen geht es vielen Migranten, die den Sprung in die Eigenständigkeit wagen. "Den meisten ist nicht bewusst, mit wie vielen Entbehrungen und zusätzlicher Arbeit die Selbstständigkeit verbunden ist", sagt Hüsnü Özkanli von der Deutsch-Türkischen Unternehmervereinigung. Die Idee, sich selbstständig zu machen, sei oftmals aus der Not geboren. Denn viele Deutschtürken, die es vor 20 Jahren zu einem Arbeiter oder Facharbeiter gebracht hätten, haben im heutigen Berlin kaum mehr Chancen auf eine dauerhafte Anstellung. So entstehe eine "Unternehmerkultur", die sich das Geld für den Laden meist bei Verwandten leihe. "Wir achten auch auf die psychische Gesundheit der Existenzgründer", betont Özkanli. Denn einmal gestartet, würden viele sich selbst bis zur Schmerzgrenze ausbeuten. Die Folgen: mangelnde Zeit für Familie und Freunde, psychische und körperliche Erschöpfung.

Genau beziffern lässt sich die Zahl der türkischstämmigen Unternehmer nicht. Rund 5.550 Kleinunternehmen sind bei der Industrie-und Handelskammer (IHK) gemeldet. Geschäftsinhaber mit deutschem Pass werden als Deutsche geführt, sodass die Zahl der selbstständigen Einwanderer höher liegen müsse, meint Özkanli und gibt eine Zahl von rund 10.000 an. Er sähe seine potenziellen KollegInnen gern in Existenzgründerseminaren, um sie auf eine Zukunft als Kleinstunternehmer vorzubereiten.

Ahmet Ersöz leitet diese Seminare bei der Deutsch-Türkischen Unternehmervereinigung. Er kennt seine Klientel gut, gerade auch jene, die Brötchen verkaufen. Viele stellten sich das so einfach vor, berichtet Ersöz: Bäckereien müssten einen eigenen Bäckermeister anstellen, Backshops dagegen verkaufen nur Aufbackware und fertig angelieferte Kuchen. Dabei sei auch die Eröffnung eines solchen Ladens kein Kinderspiel. Ganz im Gegenteil: Die meisten dieser Kleinunternehmer scheiterten bereits im ersten Jahr, so Ersöz. "25.000 bis 40.000 Euro kostet der Aufbau eines Backshops. Die Brötchen kosten im Ankauf um die 7 Cent und werden dann für knapp 15 Cent verkauft. Da denken viele, dann habe ich ja 8 Cent verdient." Stromkosten, Miete und Personalkosten seien in den niedrigen Preisen nicht berücksichtigt. Belegte Brötchen oder ein preiswerter Mittagstisch würden da eher Gewinn abwerfen, rät Ersöz.

Dennoch greift die Idee in Migrantenkreisen um sich: In Kreuzberg und Neukölln sieht man Backshops fast an jeder Straßenecke. Wie viele in ganz Berlin Brötchen und Kuchen verkaufen, weiß niemand, auch nicht die IHK. Aber allein rund um den U-Bahnhof Mehringdamm gibt es sieben. Zu viele, dachte sich Umut Saygun. Die Backwaren wurden vor einigen Monaten kurzerhand in den Kiosk nebenan integriert, der ebenfalls ihm gehört. "Ich habe nur noch reingewirtschaftet", berichtet der 30-Jährige. Den Laden führt er weiter - allerdings als Shisha-Café.

Viele seiner Bekannten hätten ebenfalls Backshops eröffnet, vor allem junge Frauen und deren Eltern, weil das nach sauberer Arbeit klinge. "Die sehen nur die Theke und den Gewinn mit den belegten Brötchen", sagt Saygun. "Aber dass dahinter echte Knochenarbeit steckt, das glaubt mir immer keiner", erzählt der sonst sehr zurückhaltend wirkende Mann und seufzt laut.

Sein Nachbar, Mustafa Baykal, der den Backshop "Ciabatta" an der Solmsstraße führt, möchte gar keine Brötchen mehr verkaufen. "Ein Kiosk läuft hier besser, bei den vielen jungen Touristen in Kreuzberg", erklärt er. Aufgebackene Brötchen und Teilchen vom türkischen Großbäcker mit klangvollen Namen wie "Ochsenauge" seien bei dieser Klientel nicht sehr beliebt, eher Alkohol und Zigaretten. Dafür steht der 45-Jährige dann auch gern zwei Stunden länger, insgesamt 14 Stunden, in seinem Laden. Seine Familie könne nicht helfen, erklärt Baykal fast entschuldigend. Aushilfen einzustellen sei aber geplant.

Das Ehepaar Akyol schließt dagegen pünktlich zum Abendessen, auch wenn die Arbeit im Backshop um die Uhrzeit längst nicht beendet ist. Nihan Akyol plant bewusst Pausen ein, damit sich nicht alles um den Laden dreht, wie sie sagt. Und ein Leben lang Kuchen, Brötchen und Zeitungen verkaufen? "Das kann ich mir nicht vorstellen", sagt Nihan Akyol, obwohl sie sich sich freue, dass das Geschäft bisher gut läuft - "zum Glück".

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5 Kommentare

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  • V
    Vale

    Schön wie viele sich hier nicht von ihren - Entschuldigung - überheblichen Vorurteilen gegenüber der taz lösen können.

     

    Wo genau ist in dem Artikel ein größeres "Schweinesystem" angedeutet, das hinter allem stehe?

    Wo erkennen Sie, dass sich arbeiten nicht lohne?

     

    Der Tenor des Artikels ist doch: Es gibt ein gut funktionierendes System, mit Hilfestellungen für Existenzgründer; diese sind vielleicht zu unbekannt, werden zu wenig genutzt. Zudem beuteten sich zu viele zu sehr selbst aus (12-14h am Tag ist Wahnsinn..), aber dass es schwierig geworden ist, andere Arbeit zu finden.

     

    Jemanden als faul abzukanzeln, der nur von Staatsknete leben wolle, der über Jahre 14h hinter einer Ladentheke steht ist wirklich arrogant dumm-dreist. Ein solches Arbeiten zeigt doch viel mehr: Es besteht der riesige Wunsch sich und seine Familie selbst zu versorgen, mit mehr oder minder kreativen Geschäftsideen. Da muss man ansetzen.

    Nicht mit einem pauschalen draufhauen

  • S
    Schripp

    Erschütternd: wenn man einen Laden aufmacht, darf man nicht vergessen, dass man auch Strom und Miete bezahlen muss! Es bleibt trotzdem die Hoffnung, dass es in Zukunft noch mehr dieser bislang so seltenen, liebevoll eingerichteten und den Gaumen des Brötchen- und Kuchenfreundes verwöhnenden Backshops geben wird. (Und wenn man dann mal in Paris, Istanbul oder irgendwo in Süddeutschland vor einem richtigen Bäcker steht, vor Bergen duftenden Brotes, das jemand tatsächlich gebacken hat, werden einem angesichts all der verpappten nach 6 Stunden ungenießbaren Brötchensimulationen bittere Tränen in den Teig kullern.)

  • D
    denninger

    Und wo ist da jetzt der große Unterschied zu T.S.s Geschwafel über türkische Gemüsehändler?

    Sag mir mal Ebru, stimmst Du ihm etwa zu oder hatte er gottstehmirbei am Ende Recht?

    Das fragt Dich der verwirrte Denninger

  • A
    Antikommi

    Die Schlussfolgerung dieses Artikels ist klar:

    Es lohnt sich nicht arbeiten, die dumme deutsche Regierung wird sowieso das Geld umsonst geben...

    Dazu koennte man auch ein bisschen schimpfen, dass so wenig in die Tasche kommt...

    Die TAZ wird dann wieder ein Artikel ueber armen Haraziten IV schreiben... oder ueber schanzenlosen Migranten...

    Mit sozialistischem Gruss!

  • QJ
    Quotenregelung jetzt!

    Das kann doch nicht wahr sein, dass hier arme MigrantInnen vom ausbeuterischen Schweinesystem gezwungen werden, Backshops zu unterhalten. Hoffentlich dürfen bald möglichst viele von diesen armen Menschen durch Quotenregelungen in der öffentlichen Verwaltung zu menschenwürdigeren BEdingunen arbeiten! Gut, dass die "taz" solche Zustände aufdeckt!