Detlef Kuhlbrodt Ausgehen und rumstehen: Auftritt Graf Tati mit seiner neuen Band „Les Alles“
Das Wochenende hatte um vier Uhr morgens am Donnerstag begonnen. Ich war aufgewacht, hatte den Laptop angemacht und David Cassidy war plötzlich gestorben. Der Sänger war ein Held meiner Kindheit gewesen. I am a clown oder How can I be sure sind gültige, große Lieder der Popgeschichte.
Wie andere den Kommunismus, so hatte ich als kleiner Junge die Partridge-Family als gesellschaftliche Organisationsform toll gefunden. Ich gucke mir ein paar alte Lieder an, Interviews, in denen er über Alkoholismus und seine Demenzkrankheit spricht, und letzte Auftritte, wo er schon schwer angeschlagen ist und bewegende, aber auch selbstironische Reden hält, über Donald Trump schimpft und sich bei seinem Publikum nach 49 Jahren auf der Bühne bedankt.
Auf der Höhe seines Ruhms, als er vor 60.000 Leuten aufgetreten war, hatte er auf die Frage, was er machen würde, wenn er mal Zeit hat, geantwortet: „Ich schlafe viel.“ Das hatte mir auch immer sehr gut gefallen.
Am Freitagmorgen bin ich bei der Physiotherapie, am Nachmittag hilft mir ein Freund bei abschließenden Abrechnungen fürs Jobcenter und abends bin ich dann in der Regenbogenfabrik in der Lausitzer Straße. Graf Tati, den ich immer GT nenne, tritt mit seiner neuen Band „Les Alles“, (die ich immer „Les Halles“ ausspreche) auf.
GT hatte zuletzt vor zehn Jahren mit Band gespielt. In dieser Zeit hatten wir uns im Sommer kennen gelernt, bei einer Ausstellung im Prenzlauer Berg, als Anke Wulffen das Balkon-&-Garten-Magazin vorgestellt hatte (glaube ich). Unsere Blogs waren miteinander befreundet. Es war ein sonniger Nachmittag gewesen.
Tati hatte also mit seiner Gitarre u. a. „Friedhof im August auf Ecstasy und Gras“ gesungen. Ein seltsam liedermachermäßiges Lied, zu dem er auch ein sehr schönes Video gemacht hatte, das in der Erinnerung wie ein Super-8-Film von Jonas Mekas oder Dagie Brundert wirkt. Und vor ein paar Wochen hatte Tati im Club49 einen sehr schönen Soloauftritt mit klug zusammengestellten Bowie-Liedern.
Es ist neun. Kai, der vor ein paar Wochen aus dem Club49 ausgestiegen war, um nun vor allem wieder als Fotograf zu arbeiten, steht an der Bühne herum. Kovacs sitzt wie immer am Tresen. Die Band ist laut; Tati wirkt am Anfang etwas unsicher; es erinnert ein bisschen an die Lassie-Singers oder an Les Rita Mitsouko, manchmal versteht man ein paar Worte, zum Beispiel „sag ja“. Alles sieht gut aus und ist am Ende auch besser gemischt als am Anfang. Nach dem Auftritt sind alle glücklich. „Er war wie ein Fisch im Wasser“, sagt seine Freundin Cécile, die am Bass war.
Dann der Hauptact. Das „MDK“ stellt seine neue Platte vor, die eigentlich aus alten Liedern besteht, aber neu abgemischt überraschend frisch klingt. Volker, der Sänger, der auch lange in der Gastronomie gearbeitet hatte, ist nun auch schon über sechzig. Schlagzeuger und Bassist wuseln so mainactmäßig eine Weile auf der Bühne herum, bevor es losgeht. „Nimm dir das Leben“, „steck dir alles in den Arsch“; „man lebt nicht mehr im Kiez / sondern residiert im Quartier“ – es ist ein kraftvoller Auftritt. Ich freue mich, Maria, die früher im berühmten „Risiko“ gearbeitet hatte, und ihren Freund Stiletto im Publikum zu sehen.
Nach einer Stunde ist die „anarchosyndikalistische Manifestation“ zu Ende. Man steht noch ein bisschen herum und verbrüdert sich und redet zum Beispiel noch über diese SS-Mantel-Mode Anfang der 80er; ich fahre nach Haus. Tati ist bis sechs Uhr unterwegs und muss am nächsten Tag noch mit dem alten R4 die schweren Verstärker abholen. Dann gibt es einen Platten.
„Im Regen vorm Regenbogenkino habe ich mit Hans, dem Leadgitarristen, das Rad gewechselt. Cécile hat den Regenschirm über uns gehalten. Ich fühlte mich wie in einem Filmschnipsel von Claude Sautet. Danach bekam ich Lust auf Sportschau, die ich lange nicht mehr gesehen hatte. Und was läuft da? 4:4 nach 0:4. Menschenskind!“
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