Details über Hamburger Islamist: Bis der Kontakt abbricht

Mit 14 kam er in Hamburg in Kontakt zu Salafisten, mit 17 kämpfte er für den IS in Syrien und starb. Nun werden neue Einzelheiten über „Bilal“ bekannt.

Von der Schule unbemerkt: „Bilal“ (Mitte) verteilt den Koran. Foto: Landesamt für Verfassungsschutz

HAMBURG taz | Die Aufnahme aus dem IS-Gebiet in Syrien ist frappierend: „Der Emir, Bruder, […] sagt: ‚Ja, kämpft einfach. Geht einfach nach vorne, stürmt einfach nach vorne.‘ Die fragen ‚Ja – haben wir keinen Plan, haben wir keine Taktik?‘ Und so. Er sagt ‚Nein. Kämpft einfach.‘ Und so. Er schickt die einfach in den Tod. Das ist so, du kannst gleich ne Pistole nehmen und dir in [den] Kopf schießen. […] Die schicken die Brüder einfach in den Tod.“

„Bilals“ dramatische Audio-Botschaft, die der Hamburger Verfassungsschutz im März ins Netz stellte, um vor dem IS zu warnen, hat für Schlagzeilen gesorgt: In der von ihm produzierten Audiodatei warnt der 17-jährige Hamburger eindringlich vor den falschen Versprechen und brutalen Praktiken des „Islamischen Staats“ (IS). Durch die Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der AfD-Abgeordneten Andrea Oelschläger sind nun weitere Einzelheiten zu dem Fall des jungen Dschihadisten bekannt geworden, der auf St. Pauli unter dem Namen Florent aufwuchs.

So habe es drei Jahre lang intensive Versuche gegeben, „Bilals“ Radikalisierung zu verhindern. Seine Hinwendung „zu radikalem religiösen Gedankengut“ fällt den Lehrern auf, als er 14 Jahre alt ist. Der Jugendliche, der als Kleinkind mit seiner Mutter und seinem Bruder aus Kamerun auswanderte, möchte auch nicht mehr Florent heißen, sondern in Verehrung eines dunkelhäutigen Gefährten des Propheten Mohammed nur „Bilal“ genannt werden.

Seit 2015 arbeiten 19 Institutionen –darunter Verfassungsschutz und islamische Vertreter –in einem Netzwerk zur Ausstiegsberatung zusammen.

Laut Verfassungsschutz werden in Hamburg derzeit 460 Personen der salafistischen Szene zugerechnet, darunter 270 gewaltbereite Dschihadisten.

65 Personen sollen versucht haben, nach Syrien und in den Nordirak auszureisen. Gegen 20 Personen verhängten die Hamburger Behörden Ausreiseverbote.

Die Audiobotschaft von „Bilal“ kann aufgerufen werden unter www.hamburg.de/contentblob/5001686/data/audiobotschaft-des-jungen-hamburger-bilal-kurz-vor-seinem-tod.mp3.

Bilal beteiligt sich an Koran-Kampagne „Lies!“

Nicht bekannt ist der Schule zu dieser Zeit, dass sich der Minderjährige an Koran-Verteilaktionen der Kampagne „Lies!“ vor dem Hauptbahnhof beteiligt. Es gibt runde Tische, pädagogische Maßnahmen, der Jugendhilfeträger ufuq.de sowie das Jugendhaus und die Kirchengemeinde werden hinzugezogen.

Weil „Bilal“ nach dem Wechsel auf eine berufsbildende Schule im August 2014 dieser meist fernbleibt, hagelt es Verweise. Es folgen Hausbesuche, schließlich verurteilt ihn ein Jugendrichter zu einer Arbeitsleistung wegen des Schulschwänzens, die er brav ableistet.

IS-Terroristen dulden keinen Verrat

Doch all das hilft nicht: Der Kontakt bricht ab. „Bilal“ ist ab April 2015 weder telefonisch noch postalisch erreichbar. Im Mai 2015 muss er den Beschluss gefasst haben, sich dem bewaffneten Dschihad anzuschließen. Zwei Monate später ist der junge Mann tot. Vorher schickt „Bilal“ aus der IS-Hochburg Rakka heimlich eine knapp sechs Minuten lange Audiodatei an seine Hamburger Glaubensbrüder, offenbar um sie davon abzuhalten, sich ebenfalls dem IS anzuschließen. Es ist „Bilals“ letztes Lebenszeichen.

„In Teilen der salafistischen Szene wird gemutmaßt, dass er durch den IS umgebracht wurde“, sagt Marco Haase, Sprecher des Landesamts für Verfassungsschutz. Denn Verräter duldet die Organisation nicht. Aber „Bilals“ letzte Botschaft könnte viele davon abhalten, ihm zu folgen.

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