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Desaströses Debüt für NFL-LegendeUniversitärer Alptraum

Der 73-jährige Erfolgscoach Bill Belichick erleidet beim Einstand im Collegesport mit North Carolina eine heftige Schlappe.

Niedergeschlagen: Belichick verlässt nach der Niederlage das Spielfeld Foto: Chris Seward/ap

W eit vor dem Ende der Partie, im dritten Viertel, traten schon die ersten Zuschauer die Flucht an. Wer hätte das gedacht? Über 50.000 Menschen hatten sich glücklich geschätzt, am Montagabend in Chapel Hill Zeuge dieses Ereignisses zu sein. Kaum einer konnte es glauben, als vergangenen Dezember bekannt wurde, dass Bill Belichick, mit sechs Super-Bowl-Siegen der erfolgreichste Trainer der NFL-Geschichte, das College-Team der Universität von North Carolina übernehmen würde.

Das wäre in etwa so, wie wenn die Fußballtrainerlegende Carlo Ancelotti sich nach seiner goldenen Ära bei Real Madrid entschieden hätte, künftig die Jungspunde von der TSG Hoffenheim II in der dritten Liga zu übernehmen. Nach einem knappen halben Jahrhundert an der Seitenlinie von NFL-Teams konnte man sich den 73-jährigen Belichick mit dieser besonderen Erfolgsaura nirgendwo anders mehr vorstellen.

Als es dann tatsächlich so kam, war wohl jeder überzeugt, dass die Magie von Belichick sich auf das Team von North Carolina im Heimduell gegen die TCU Horned Frogs übertragen würde. In den ersten zehn Minuten schien das auch zu klappen. Der erste Touchdown der Saison gelang den Gastgebern, was ihnen eine 7:0-Führung einbrachte. Was darauf folgte, war aber desaströs. Das Team des größten Verteidigungsstrategen des American Football reagierte auf die Angriffe des texanischen Kontrahenten konfus und verlor 14:48. In seiner ganzen NFL-Karriere hatte Belichick nicht mit ansehen müssen, dass seine Teams den Gegnern so viele Punkte in einem Spiel ermöglichten.

Etliche im Publikum konnten sich die Demontage nicht bis zum Ende anschauen. Die New York Post schrieb vom „schlimmsten Albtraum für Belichick“. Prominente Zeugen saßen auf der Tribüne. Legenden aus dem US-Sport wie die Basketballikone Michael Jordan oder die Fußballweltmeisterin Mia Hamm wollten sich das Spiel, das so kläglich endete, nicht entgehen lassen.

Spott und Häme

„Wir müssen uns in allen Bereichen steigern – beim Coaching, auf dem Feld, in allen drei Spielphasen. Das war schlicht nicht das Niveau, das wir brauchen“, erklärte der Coach. „Ich weiß, dass wir deutlich besser sind als das. Daran müssen wir jetzt arbeiten.“ All die Erwartungen, die sich in den letzten Monaten ins Unermessliche gesteigert hatten, waren binnen nur eines Abends zerstört.

Entsprechend groß war der Spott auf Social Media. Die Punktedifferenz bei der Niederlage, hieß es, sei ja immer noch knapper als die Altersdifferenz von Belichick zu seiner Lebensgefährtin Jordon Hudson (24).

Dieser steht vor einer größeren Aufgabe, als viele gedacht haben. Natürlich stellt sich dringender denn je die Frage, ob der lange Atem, der dafür nötig ist, von einem Coach im fortgeschrittenen Renten­alter aufgebracht werden kann. Und inwieweit ein Trainer, der stets mit Spitzenathleten zu tun hatte, geeignet ist, Talente zu formen.

Dass das Team am Montag nicht gut harmonierte, ist angesichts von 70 Neuverpflichtungen vor der Saison nicht überraschend. Die mangelhafte körperliche Präsenz verwunderte schon, zumal Belichick den Ruf eines Schleifers genießt.

Und eigentlich sollte das Personal über Qualität verfügen. Die Einstellung der NFL-Trainerlegende hat auf dem Spielermarkt eine gewisse Anziehungskraft in Richtung North Carolina erzeugt. Von der Zusammenarbeit mit Belichick und dessen hervorragendem NFL-Netzwerk versprechen sich so manche College-Spieler einiges.

Harte Arbeit hat Bill Belichick für die nächsten Tage angekündigt. Vor dem Saisonauftakt hatte er erklärt, noch nie in seiner Karriere ein Team trainiert zu haben, das so hart arbeiten würde wie sein aktuelles. Die Zeit für Korrekturen im Training ist knapp bemessen. Tröstlich ist, dass die nächste Aufgabe am Samstag bei den Charlotte 49ers deutlich einfacher einzuschätzen ist.

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taz-Sportredakteur
Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
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