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Des Hoch-Stablers Dreckarbeit

Sergej Bubka trainiert wie ein Berserker für seine Flüge in die ewige Bestenliste / Von barockem Welttheater und puritanischem Leben  ■  Von Cornelia Heim

Berlin (taz) – „Das Wichtigste ist, sich selbst zu schlagen. Daran wächst man.“

Berlin, Rudolf-Harbig-Halle, 11.30 Uhr: Ein Kombi hält vor der Tür. Es steigen aus: zwei graumelierte Herren – die Trainer – zwei kleine hüpfende Buben – die Söhne – zwei Sportler – die Brüder – Vassilij und Sergej; Bubka ihr werter Name.

„So ein netter Mensch!“ Hausmeister Giovanni Ferrara strahlt bis zu den Ohrläppchen und dem Troß entgegen. Seit gut einem Jahr lebt und trainiert der weltbeste Hoch-Stabler in Berlin. Was dem Hausmeister so gefällt: „Er kommt gerne mit Familie.“ Wenn Ferrara von „ihm“ spricht, klingt es wie „Ihro Majestät“, der König der Lüfte. Ferrara spricht nicht englisch, Bubka kaum deutsch. Man versteht sich ohne Worte.

„5,90 is better than 5,60!“ Ein aufmunternder Klaps von Christian Schenk, eine Anspielung auf die Meetings in Nizza und Barcelona. Der Zehnkämpfer grinst augenzwinkernd. Sergej Bubka lächelt gefriergetrocknet, findet den Witz des Trainingsgastes aus Mainz nicht so komisch. „5,93“, korrigiert er und stapft vor sich hin grummelnd in die Halle: „They don't understand, they simply won't understand!“ Die Katalanen hatten ihn wegen seiner 5,61 m ausgepfiffen, die Südfranzosen für 5,93 m frenetisch gefeiert.

Kaskaden in russisch – oder ist's ukrainisch? – stürzen auf die Trainer ein. Ein Schüler redet sich die verletzte Seele frei. Später wird der Überflieger erklären, warum ihn die unerbittlichen, die hochfliegenden Erwartungen tief schmerzen. Sie, die keinen Tiefflug verzeihen: „Ich bin doch auch nur ein Mensch“, wird er ausrufen, die Hände fast flehend ausstrecken, als wollte er das kleinste Anzeichen eines freien Falls abbremsen. Der chipsfutternde Couch-TV- Sportler hat sich an unmenschliche Leistungen eines Sergej Bubkas längst gewöhnt. 34 Weltrekorde (letzter Stand: 6,15 m (Halle), 6,13 m), ein Olympiasieg, drei Weltmeistertitel. Sechs Jahre lang schien er die Gesetze der Erdanziehung zu ignorieren. Siege von der Stange. Dann allerdings plumpste Bubka jäh vom Olymp. Zweimal: 1990 Platz sechs bei der EM in Split, 1992 drei Fehlversuche bei den Olympischen Spielen in Barcelona. Götterdämmerung? Die Welt brach den Stab über ihn. „Ich bin doch keine Maschine!“

Bubka schuftet im Training wie ein Pferd. „Bubka ist ein Tier“, behauptet Billy Olson, früherer Hallen-Weltrekordler. High noon: Plop – plop – plop – Bubka donnert den Medizinball an die Wand. Zehnmal, zwanzigmal, unendlich oft – plop – plop – plop. Trainer Jewegenij Wolobujew, „Spiegel von Bubka“ laut Bubka, nickt fast unmerklich, korrigiert gestenreich, antreiben muß er nicht. Sergej Bubka arbeitet mit der Besessenheit eines Uhrwerks – seit ihn Mutter Walentina vom Geburtsort Woroschilowgrad nach Donezk schickte. Er war 16, und Walentina Bubka konnte die Leidensmiene ihres Serjoschas nicht mehr ertragen. Er litt ohne seinen damaligen Trainer Petrow und die Himmelsflüge, die soviel Dreckarbeit am Boden verlangen. Plop – plop – plop.

„Leistung kann man nicht kaufen“

Andächtig schaut Paul Meier, der mit seinen 22 Jahren gerade anfängt, sich im Zehnkampf einen Namen zu machen, auf den Star. Immer wieder unterbricht der Trainingsgast aus Leverkusen sein Programm: „Daß ein solcher Weltklasseathlet so ackert!“ 12.35 Uhr: aus dem Stand springt Bubka in die Grube. Immer wieder. Die einzige Abwechslung besteht in der Variation der Foltermethoden für die Muckis in den Beinen: Ohne Anlauf, auf einem Bein, mal links, mal rechts, mal wie die Dreispringer, mal tut er's den Weitspringern gleich, mit denen er sich ohne weiteres messen könnte: 7,81 m sein weitester Satz, 100 m sprintet der Himmelsstürmer in 10,37 Sekunden. Sergej junior quengelt, Bubka streichelt sein Köpfchen, gibt gleichzeitig Witali Tips für den Flug über die Hochsprunglatte. „Meine Familie ist das Wichtigste, was ich habe“, seine Augen kleben an der Söhne Wettrennen, „nur habe ich so wenig Zeit!“

13 Uhr: Zeit zum Eisen fressen. Die Musik aus dem Äther gibt den Takt an. Nein, ist zu langsam. Bubka liegt auf der Bank, stemmt die Hantel vom muskelprallen Brustkorb in die Höhe. „Es ist nicht leicht, immer top zu sein.“ Mehr Gewichte, mehr. Die blauen Augen verengen sich zu Schlitzen, das Gesicht verzieht sich zur Fratze. Losloslosloslos. „Ich bin ganz allein, aber jeder will etwas von mir.“ Mehr. Mehr! Meehhrr! „Sie saugen mich aus.“ Die Journalisten, die Veranstalter, „die mich betrügen, weil sie mir vorgaukeln, es seien keine ernstzunehmenden Springer am Start, und dann sehe ich Gataullin, Tarassow und muß aus dem vollen Training heraus Höchstleistung bringen!“ Bubka pumpt sich voll mit Eisen. Jetzt legt ihm Trainer Aleksandr Solomachin die Hantelstange in den Nacken, Bubka läuft im Hopserlauf. Und wenn auch die Last auf den Schultern immer stärker drückt, der 29jährige springt hoch, höher, am höchsten? Wie lange noch? „Solange ich meine Energie halten kann.“ 6,20 m hat er im Visier.

Bubka sprintet weiter, ein angebundener Lkw-Reifen bremst seinen Drang. Bis 1995 läuft sein Vertrag mit Nike, über dessen horrenden Inhalt die wildesten Gerüchte kursieren und sich die Beteiligten ausschweigen. Man hat ihm seine Professionalität vorgeworfen. 286.000 Mark Gage steckte er bereits vor zwei Jahren in Formia ein, als er seinen Weltrekord mal wieder ein Zentimeterchen nach oben schraubte, auf 6,09 m damals, und laut bekundete, seine Verdienstmöglichkeiten gedenke er sich nicht mit einem Jahrhundertsprung à la Bob Beamon zu versauen. Der Gummireifen schlingert, Bubka läuft aufrecht wie ein Besenstiel. „Mit allem Geld der Welt kann man Leistung nicht kaufen.“ 20 Weltrekorde ist er gesprungen, ohne einen Rubel. Jetzt singt er in Hollywood für den Sponsor, hat zwei Manager zum Geldeintreiben, Rudi Thiel in Berlin, seiner Wahlheimat, Andrezj Kulikowski in Schweden. Bubka hat sich die barocke Weltsicht zu eigen gemacht: „Wir sind Schauspieler auf der Weltbühne.“ Ein Pavarotti kassiere 600.000 Mark für ein einziges Konzert. „Es gibt so wenige Stars, die ein Stadion voll bekommen – Lewis, Bubka –, warum sollen die nicht anständig bezahlt werden?“ Das martert sein Hirn, der Gummireifen zieht unbarmherzig.

Sozialismus? Kapitalismus? Davon will Bubka, der als einer der ersten Ostblockathleten schon unter Gorbatschow hohe Prämien kassierte, nichts wissen: Politik interessiere ihn nicht – er geht wieder an die Kraftmaschine – alle Politiker handelten schlecht. „Ich lebe hier wie in Donezk für meinen Traum, mein Sportlerleben.“ Wumm – wumm – wumm – Kilos von Eisen plotzen auf den Boden. „Wenn man etwas perfekt machen will, muß man sich auf eine Sache konzentrieren. Ausschließlich.“ Was das heißt? Ein Leben im streng puritanischen Rhythmus: „Trainieren, essen, schlafen, ausruhen, trainieren,... – wumm – wumm – wumm.

Im Stadion ist Sergej Bubka meist der Letzte. Er stiert die Latte an, umkrallt seinen Stab, der härter ist als alle anderen, weiter oben als alle anderen, schnauft sich die Luft aus der Lunge und saugt sie wieder ganz tief in die Bronchien hinein. Er läuft an, so schnell wie keiner, rammt seinen Zauberstab in den Einstichkasten – und katapultiert sich in die Lüfte. Kopf nach unten, Beine in die Höh', sieht er den Wolken entgegen. Es ist ein Schnellen entlang der Elastizität des Stabes. Er fliiiegt.... Das Stadion springt von den Schalensitzen. „Ich brauche die Menge.“ Der Alleinunterhalter und sein Publikum. „Nur deshalb konnte ich der Welt 34 Weltrekorde schenken.“

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