: Der weiße Osten, braun gesprenkelt
■ Die Ränge erobern nun die Rampe
Der weiße Osten, braun gesprenkelt Die Ränge erobern nun die Rampe
Ich erinnere mich an die Zeit nach der Wiedervereinigung als eine Phase zagender Erwartung, eines mühsamen, auch leicht schuldbewußten Optimismus: da waren sie nun, die neuen Mitbürger, und sollten zur Kenntnis genommen werden. Da war es nun, das alte neue Deutschland, und gehörte einfach dazu. Wer Angst vor Wachstuch und Plaste hatte, tröstete sich mit dem hohen Organisationsgrad der DDR-Gesellschaft, mit den sozialen Errungenschaften (von der Abtreibungsregelung zum Kindergartenplatz, von der Vollbeschäftigung zum Wohnraumanspruch): da würde ein selbstbewußter Anspruch laut, so hofften wir, der den Westarbeitslosen, den Westmüttern, den WestmieterInnen beispielsweise fehlt. Wem die Vergangenheitsbewältigung per Feuilleton und Klagemauer auf die Nerven ging, den tröstete das politische Potential der dortigen Bewegungen, der hielt sich an den runden Tisch, bis dessen Beine brachen. Im übrigen hielt man sich raus: In Essen wie in Oberbayern nahm man den Zuwachs per Vereinigungsabgabe zur Kenntnis und hoffte leise, es werde alles weitergehen wie bisher. Der Osten war eine weiße Fläche und würde irgendwann aussehen wie der Rest, und für die Angleichung wurden Geld und Beamte geschickt.
Das ist nun leider schiefgegangen. Der Osten meldet sich zurück wie eine Bande unerzogener Kinder, ständig quengelnd die einen, randalierend die anderen. Die Intellektuellen unter ihnen tauchten wehklagend unter. Die Cleveren heuerten auf dem falschen Schiff an. Die anderen beschränkten sich aufs Wählen, und das machten sie auch noch falsch. Weil sie es falsch machten und über die Kante des Tisches gezogen wurden, den sie rund nun mal nicht wollten, geht es ihnen nun schlecht. Anstatt bei den Richtigen Randale zu machen, zum Beispiel das Rathaus, den Landtag und das Parlament mit Ansprüchen zu bewerfen, schmeißen sie Steine auf die Underdogs. Sie werden zur Kenntnis genommen, gezwungenermaßen, aber aus den übelsten Gründen: nix intellektuelle Bereicherung, nicht die Rede von kulturellen Impulsen, Erstarken von Solidarität, nix Selbstbewußtsein der Arbeiterklasse. Stattdessen Gejammer und Gestöhne, sinnlos gebunden in ebensolche Komitees, und wer der Sprache nicht mächtig ist, nimmt eben den Molotowcocktail.
Die Regierung hat sich taub gestellt und muß nun die unerzogenen Neubürger unter Kontrolle bringen. Es paßt ihr bestens in den Kram, daß nicht sie, sondern die schutzlosen Projektionsfiguren ihrer reaktionären Unfähigkeit angegriffen werden, und ein verbranntes Libanesenkind macht eben noch keine Steuerreform. Der Osten, eine weiße Fläche, tobt auch die schwelenden Probleme des Westens aus: Gut organisierte rechtsradikale Gruppen aus Westdeutschland, für die der Verfassungsschutz bisher nicht mehr als ein halbblindes Auge hatte, können dort exekutieren, was in Westdeutschland so noch nicht möglich ist. Sie treffen auf eine schlecht erzogene, zutiefst unzufriedene, sich gedemütigt fühlende Bevölkerung, die fleißig mitmacht und applaudiert. Bisher war der Osten Spielraum für die Knallchargen des Westens; sie schrieben den Text, sie sprachen ihn und sie regierten die Bühne. Jetzt macht das Publikum mit, und die Ränge erobern die Rampe. Der weiße Osten, diese gesichtlose große Nebenfläche, wurde vor allem vom Westen markiert: von dessen Randale, von dessen Polizei und von dessen politischer Unmenschlichkeit, die das Recht auf Asyl dem Mob freigibt.
Der weiße Osten hat sich ganz schnell braun eingefärbt. Wer zu Zeiten der Wiedervereinigung die dumpfen Ahnungen des Auslands und der hiesigen Linken belächelt hat, müßte eigentlich jetzt mal eine Sprechpause einlegen (eine Denkpause wäre wohl sinnlos). Stattdessen parlieren dieselben Schreibtischtäter munter weiter und sehen „soziale Unzufriedenheit“, aber natürlich keinen „Ausländerhaß“: der weißbraune Osten bleibt Projektionsfläche des Westens, der nicht sehen will, daß die brutale Avantgarde des Westens vom Osten her zurückkommt — erstarkt, ermuntert und gut entschuldigt. Elke Schmitter
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