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Der verglasfaserte Europäer

■ Telekommunikations-Horrorszenario: USA und Japan hängen EG ab / Milliardengeschäft beim Mobilfunk: Konsortien in den Startlöchern

Teil 9 von Rolf Paasch

Die Herausforderung kommt von außen. Die USA und Japan, jene industriellen Igel, die im Wettrennen um die ökonomische Dominanz auf den globalen Märkten des nächsten Jahrtausends immer schon am Ziel warten, sind längst in die totale Telekommunikation eingestiegen. Die Handelsbilanzen bei den Telekom-Gütern neigen sich derweil bedrohlich zu Ungunsten der Europäer. Die USA haben ihr mächtiges Telefonmonopol von AT&T bereits zu Beginn der achtziger Jahre erfolgreich entflochten, und Japan wird nach der neuesten Prognose des britischen „Telecom Research Centre“ den Markt für Fernmeldeausrüstungen schon bald mit einem Anteil von 31 Prozent dominieren. Nur Europa, ach Europa, verstrickt sich bei dem Versuch, die staatsmonopolistischen Anachronismen abzuschaffen auf dem Gebiet der Telekommunikation nach wie vor im Wettbewerb nationaler Eitelkeiten. Europa 1992: Kein Anschluß mehr unter dieser Nummer?

Um dieses „Horrorszenario“ zu verhindern, sind die Eurostrategen in Elektronikindustrie und EG-Kommission seit Mitte der achtziger Jahre damit beschäftigt, den Vorsprung der USA und Japan auf dem Weg in die Informationsgesellschaft aufzuholen. Wenn sich der Anteil des Telekom-Sektors am Bruttoinlandsprodukt in der nächsten Dekade auf rund sieben Prozent verdoppeln wird, wenn sich die Verschmelzung von Telekommunikation und elektronischer Datenverarbeitung weiter so rasant fortsetzt, dann muß Europa rasch die Voraussetzungen für seine Wettbewerbsfähigkeit auf diesem mit einem Volumen von 500 Milliarden Ecu größten aller Wachstumsmärkte schaffen. Erst wenn die Telekommunikation auch zwischen Schottland und Andalusien grenzenlos ist, so das Argument, kann die Herausforderung dieser dritten industriellen Revolution bewältigt werden, die nicht mehr von Kohle oder Öl, sondern von den neuen Informationstechnologien angetrieben wird. So wird die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Telekommunikationspolitik gleichzeitig zur Vorbedingung und zum Test für die Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes von 1992.

Das „Grünbuch“

Je liberalisierter die Märkte, umso schneller der Anschluß. So ließe sich denn auch das Motto des im Juni 1987 von der Brüsseler EG-Kommission vorgelegte „Grünbuch zur Neuordnung der Telekommunikationspolitik“ beschreiben. In einem Mehrstufenplan sollen all jene ordnungspolitischen, nationalstaatlichen und monopolistischen Hindernisse aus dem Weg geräumt werden, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Telekom- und Elektronikunternehmen durch die starke Fragmentierung des heimischen Marktes bisher beeinträchtigt haben. Der EG -Entwurf sah die völlige Liberalisierung des Endgerätemarktes und die Öffnung der sogenannten „Mehrwertdienste“ wie „Online Services“ und „Electronic Mail“ vor. Außerdem strebte das „Grünbuch“ den freien Zugang zu den jeweiligen Netzwerken (Open Network Provision) an. Ferner schlug Brüssel vor, die Satellitendienste zu liberalisieren und die Telekom-Tarife europaweit anzugleichen. Nur vor der Empfehlung, auch den traditionellen Telefondienst für den Wettbewerb zu öffnen, wie es die britische Regierung im Falle von „British Telecom“ mit dem Alternativ-Telefonnetz Mercury versucht hat - schreckten die Autoren des „Grünbuchs“ zurück.

Doch bald stellte sich heraus, daß die Kommissionsrichtlinien mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten. Vor allem die Frage, wie weit die Netzhoheit der einstigen Fernmeldemonopole in den verschiedenen Bereichen nach der Reform noch reichen sollen und in welchem Ausmaß private Anbieter unter Benutzung der jeweiligen Netzinfrastruktur mit den staatlichen Fernmeldeverwaltungen konkurrieren dürfen, wird nur ungenügend beantwortet. Unklar bleibt deswegen, wer beispielsweise die enormen Investitionskosten für die Einführung des europäischen „Breitband„-Kommunikationsnetzes überhaupt finanzieren soll, wenn private Konkurrenten die Profitmargen der Fernmeldeverwaltungen in den Basisdiensten demnächst schmälern werden. Jenes Integrated Services Digital Network (ISDN) soll in Zukunft eine Vielzahl verbesserter und neuer Dienstleistungen vom Telefon über das hochauflösende Fernsehen bis hin zur Videokonferenz gleichzeitig transportieren.

Andere Problembereiche wie die Definition der „Mehrwertdienste“ und die Formulierung der Auflagen für die zukünftige Satellitenkommunikation wurden in dem Entwurf erst gar nicht angesprochen. Und auch die potentiell negativen Auswirkungen der angestrebten Liberalisierung auf das telekommunikative Ungleichgewicht zwischen den Ländern der europäischen Peripherie und den Staaten im Herzen der Gemeinschaft scheint die Autoren des „Grünbuchs“ nicht interessiert zu haben.

Auf wirklich handfeste Fortschritte kann die EG-Kommission bisher nur bei der von allen Regierungen akzeptierten Liberalisierung des Endgerätemarktes verweisen. Spätestens Ende 1990 werden auch Spanier, Griechen und Bundesdeutsche ihre Telefone und Modems zu Billigpreisen im Supermarkt kaufen können, so wie dies in Großbritannien schon seit 1984 möglich ist. Darüber hinaus hat auch das von Brüssel neu eingesetzte „European Telecommunications Standards Institute“ (ETSI) bei der Normierung von Geräten und Harmonisierung von Dienstleistungen eine Reihe von Erfolgen erzielt. Diese Harmonisierung ist die notwendige Vorraussetzung dafür, daß die gegenwärtige Welle von Übernahmen, joint ventures, Aufkäufen und Kollaborationen in der europäischen Elektronik- und Telekommunikationsindustrie auch ihren Zweck erfüllt. Denn nur bei einheitlichen Normen und einem gemeinsamen Markt können solche Allianzen zwischen Unternehmen aus den Telekom- und Datenverarbeitungsbranchen eingegangen werden, die Forschungskosten für die neue Digitaltechnologie gesenkt und die internationalen Vermarktungsstrategien koordiniert werden.

Begonnen hatte das industrielle Revirement 1986, als der französische Konzern CGE die verbleibenden Telekom -Interessen des US-Unternehmens ITT aufkaufte und mit Alcatel einen neuen europäischen Telecom-Konzern mit einem Umsatz von neun Milliarden Dollar formte. Daraufhin übernahm der schwedische Marktführer bei den Mobiltelefonen, Ericsson, den zweitgrößten französischen Telekom-Hersteller CGCT - sehr zum Ärger von AT&T und Siemens -.

Telefone im Supermarkt

In Großbritannien taten sich unterdessen die beiden führenden Elektronikkonzerne GEC und Plessey zusammen und gründeten das „joint venture“ GPT mit einem Anfangsumsatz von 1,2 Milliarden Pfund; ehe nun Siemens versucht, zusammen mit GEC Plessey zu übernehmen, um sich auf diese Weise 40 Prozent des vielversprechenden Telekom-Ventures GPT aneignen zu können. Während die europäischen Unternehmen so versuchen, ihre eigenen Märkte trotz der Liberalisierung zu sichern und gleichzeitig neue internationale Märkte zu erobern, streben US-amerikanische Firmen die Errichtung von Brückenköpfen in Europa an. So betreibt AT&T joint ventures mit Philips in den Niederlanden und Olivetti in Italien, während sich der kanadische Telefongigant Northern Telecom mit der britischen High-Tech-Gruppe STC zusammengeschlossen hat.

Besonders bei den Mobiltelefonen rangeln die Telekom -Unternehmen derzeit um eine günstige Ausgangsposition für das Geschäft mit den digitalen Zellulartelefonen der nächsten Generation, welche die gegenwärtig fünf verschiedenen Mobilfunksysteme in Europa ab 1991 ersetzen sollen. Um die Lizenzen für die ersten Versuchsnetzwerke werben derzeit namhafte internationale Konsortien: Alcatel mit Nokia aus Finnland und der AEG sowie Ericsson mit der französischen Matra, Siemens und Orbitel, einem joint venture der beiden britischen Unternehmen Racal und Plessey. In der Bundesrepublik wird man sich ebenfalls noch in diesem Jahr entscheiden, welcher private Anbieter neben der Bundespost das neue über ISDN-Vermittlungsstellen abzuwickelnde D2-Mobiltelefonnetz mitbenutzen darf. Zu den sich bewerbenden Konsortien zählen einmal BMW mit VEBA und zwei US-Systemherstellern sowie Daimler-Benz mit der RWE und zwei ausländischen Telekomgesellschaften. Wenn die Prognose des amerikanischen Telekom-Analysten Ed Mier zutrifft, der bei jährlichen Wachstumsraten von 40 Prozent bereits 1992 europaweit von 3,5 Millionen Mobilfunkteilnehmern ausgeht, dann wartet hier auf die Gewinner bei der Lizenzvergabe in den neunziger Jahren ein Milliardengeschäft.

Nicht zuletzt von der Neuordnung des gesamten Fernmeldewesens in der Bundesrepublik wird es abhängen, in welchem Tempo die EG-Kommission die Richtlinien des „Grünbuchs“ vor allem im Dienstleistungsbereich und bei der Netzträgerschaft durchsetzen kann. Während Großbritannien und Frankreich ihr Fernmeldewesen weitgehend liberalisiert haben, gibt es in der Bundesrepublik als dem wichtigsten Telekom-Markt Europas noch große Widerstände gegen die vollständige Aufhebung des Fernmeldemonopols und die Aufspaltung der Bundespost in die Bereiche Telekom, Postdienst und Postbank. „Die Reformvorschläge der Bundesregierung zur Neudordnung des Fernmeldewesens“, so kommentierte unlängst der Kieler 'Wirtschaftsdienst‘ die derzeit dem Bundestag vorliegende Regierungsvorlage, „dürfte kaum die Weichen dafür stellen, zur Entwicklung der Telekommunikation im Ausland aufzuschließen.“

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