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Archiv-Artikel

Der vergessene Weltmeister

Das Engagement von Thomas Häßler bei Austria Salzburg wird hierzulande kaum wahrgenommen. Doch den38-Jährigen stört das nicht, ganz im Gegenteil: Trubel um seine Person mochte der bescheidene Icke noch nie

SALZBURG taz ■ Die Buslinie 18 führt vom Hanuschplatz direkt zum EM-Stadion. Eine Stunde vor Spielbeginn ist nur jeder dritte Sitzplatz belegt, seltsame Stille herrscht zwischen den Reihen. Niemand lässt seinen Vereinsschal aus dem Busfenster hängen, niemand grölt. Der Abstiegskampf beim SV Austria Salzburg hinterlässt wenig Geräusche. Man muss schon einen Namen ins Spiel bringen, der die Menschen zum Reden animiert.

Kennen Sie Thomas Häßler? Plötzlich erfrieren die Gesichtszüge der umsitzenden Fußballtouristen, als hätte man Salzburg so eben der Schweiz zugeordnet. Kaum ist der Schock verflogen, startet auch schon die verbale Liebkosung. Johann Santner, ein Mann mit lustigen Locken, betet die Vorzüge des kleinen Mittelfeldspielers herunter, der seit Sommer 2003 für die Austria spielt. Häßler hatte keine Lust mehr auf die Bundesliga, in der sie immer mehr an ihm zweifelten. In Salzburg verehren sie ihn, mehr als sie jemals einen ausländischen Spieler verehrt haben.

Für die Salzburger ist Häßler ein Idol. Kein Trikot verkauft sich so gut wie das des Weltmeisters von 1990. Auf der Linie 18 können sie ihren Stolz kaum in Worte fassen. Jeder möchte nun etwas sagen, sie kennen ihn ja alle ein bisschen, ihren kleinen Riesen. Der die Kathedralen des Fußballs zur Genüge erkundet hat, mit Juventus Turin oder Borussia Dortmund zum Beispiel. Der Welt- und Europameister wurde, der 400 Bundesliga- und 101 Länderspiele bestritt. Das alles erzählen sie gern.

Doch die Begeisterung hat ihre Grenze, sie liegt am Rande des Landes. Als der Dortmunder Stefan Reuter vor wenigen Wochen sein 500. Bundesliga-Spiel absolvierte, wurde er als letzter noch aktiver Weltmeister gefeiert, als der Geduldigste einer glorreichen Generation. An Häßler schien sich niemand zu erinnern. Salzburg ist eben nicht Dortmund, die Austria kickt oft vor nur 8.000 Zuschauern, die Borussia vor 80.000. Es ist fast unmöglich für Häßler, in der Abgeschiedenheit Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Selbst Stefan Effenberg und Mario Basler, die Vorruheständler in der Wüste Katars, waren in den deutschen Medien präsenter als Icke.

Häßler hat nichts dagegen. Mit bald 38 Jahren kann er sich noch immer in der ersten Liga Österreichs behaupten. Trotzdem scheut er die Öffentlichkeit wie Michael Schumacher den zweiten Platz. Es ist fast unmöglich, ein längeres Interview mit ihm zu arrangieren. Simone Frohnwieser, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit beim SV Austria, ist nicht zu beneiden. Fast wöchentlich melden sich deutsche Journalisten bei ihr, um Häßler einen Besuch abzustatten. Selbst die Beobachter der vier Salzburger Tageszeitungen haben es schwer, Kontakt mit ihm aufzunehmen. „Es läuft in dieser Saison leider nicht gut, da ist das doch verständlich“, sagt Peter Assion, der Trainer. Die ersten sechs Spiele hatte Austria verloren. Inzwischen liegt das Team im Zehnerfeld auf Platz sieben, in zwei Wochen ist die Saison beendet. Ohne die Hilfe Häßlers, der seit Wochen unter einer Knieverletzung leidet. Das letzte seiner insgesamt 19 Spielen bestritt er Mitte April gegen Graz. Die Fans vermissen ihn. „Wenn ich gesund bin, kann man über alles diskutieren“, sagt Häßler zum Thema Vertragsverlängerung, mit einem Gesichtsausruck, der kaum Interpretationen zulässt. Er ist nicht gesund.

Es ist unwahrscheinlich, dass der Verein seine Option auf ein weiteres Jahr ziehen wird. Obwohl Häßler die Spielweise der Salzburger bereichert hat. „Ein toller Mensch“, sagt der millionenschwere Präsident Rudi Quehenberger. Er wird entscheiden, ob die Karriere des gebürtigen Berliners in die Verlängerung geht. 500.000 Euro soll Häßler in dieser Saison verdient haben, das entspricht einem Zehntel des Jahresbudgets. Teamchef Peter Assion will nach den zermürbenden Wochen im Abstiegskampf fortan auf junges Personal setzen. Ihm bleibt nichts anderes übrig. Wichtige Einnahmen gingen verloren, nachdem Salzburg bereits in der zweiten Runde des Uefa-Pokals am AC Parma gescheitert war. Der Leid Tragende könnte Thomas Häßler sein.

Was danach kommt, ist ungewiss. Vor einem Jahr hatte Häßler ein Angebot, gemeinsam mit seinem Freund Martin Max nach Katar zu reisen. Max hat bei Hansa Rostock gerade das Ende seiner Bundesliga-Laufbahn verkündet, er ist einem lukrativen Intermezzo am Persischen Golf nicht abgeneigt. Häßler aber schweigt noch. Wie so oft.

RONNY BLASCHKE