: Der unglücklichen Helden Tod
■ „Armee im Schatten“ des französichen Regisseurs Melville läuft am Samstag um 23.40 Uhr, ARD
Paris, Oktober 1942. Die Kamera ist starr auf den Arc de Triomphe gerichtet. Die Straßen sind leer. Es herrscht völlige Stille. Dann ertönt allmählich immer lauter werdende Marschmusik, deutsche Soldaten marschieren seitwärts in das Bild, schwenken in der Mitte nach rechts und marschieren nun direkt auf die Kamera zu. Kurz bevor die schweren Soldatenstiefel den Zuschauer „dahinter“ zertreten können, erstarrt das drohende Bild.
Um diese Anfangsszene, übrigens bis dahin die teuerste der französischen Filmgeschichte, einfangen zu können, ließ Melville, der ansonsten mit jedem Budgetpfennig knauserte, die gesamte Champs-Elysees sperren. Nachts wurde mit den Vorbereitungen begonnen und um sechs Uhr in der Frühe war Drehtermin.
Das häßliche Geräusch, das Stiefel beim Stechschritt nun mal erzeugen, ließ er von deutschen Soldaten nachsynchronisieren, weil dieses Geräusch, so Melville, „unnachahmlich“ sei. Der Zuschauer wird Zeuge und Opfer eines perfekt inszenierten Grauens, das weder eimerweise Blut noch erklärende Dialoge benötigt, um sich schnell wie eine Giftwolke auszubreiten: die Kontaminationszeit dieses Films ist erschreckend kurz.
Gezeigt wird der aussichtslose Kampf einer Handvoll Resistance-Mitglieder gegen den übermächtigen und fast allgegenwärtigen deutschen Feind. Der Ingenieur und Widerständler Philippe Gerbier (Lino Ventura) flieht aus den Klauen der Gestapo. Er begibt sich nach Marseille, wo er mit Felix (Paul Crauchet) und Le Masque (Claude Mann) einen Verräter auf brutale Weise hinrichtet. Felix trifft kurz darauf seinen alten Freund Jean-Fran?ois (Jean-Pierre Cassel), der sich dem Widerstand anschließen möchte. Er wird beauftragt, ein Funkgerät nach Paris zu transportieren. Kontaktperson dort: Mathilde (Simone Signoret). Er erledigt den Auftrag und besucht seinen Bruder Luc (Paul Meurisse). Er weiß nicht, daß Luc gleichzeitig der Chef der Resistance ist.
Dann wird Felix in Marseille verhaftet und gefoltert. Mathilde, die treibende Kraft der Gruppe, die auf dem Land einen Miniflugplatz für den Kurierdienst installiert hat, bereitet seine Befreiung vor. Jean-Fran?ois hält die Befreiung seines Freundes für aussichtslos und stellt sich freiwillig, um zu Felix zu gelangen. Er schafft es und gibt ihm seine Zyankalikapsel. Beide werden sterben, aber Jean -Fran?ois kann seinem Leben nun selbst kein Ende mehr setzen.
Wieder wird Philippe verhaftet. Mit Mathildes Hilfe gelingt ihm die Flucht. Doch bald taucht Luc bei ihm auf und teilt ihm mit, daß nun auch Mathilde in den Händen der Gestapo in Paris sei. Sie haben ein Foto ihrer Tochter bei ihr gefunden und drohen, auch deren Leben zu zerstören. Nun gilt es, der Kampfgefährtin einiges zu ersparen. Aus einem Auto heraus wird Mathilde, die ihren Tod offensichtlich erwartet - auf offener Straße erschossen. Im Auto sitzen Le Bison (Christian Barbier), der Schütze, Le Masque, Luc und Philippe. Der Nachspann klärt all die Zuschauer, die wenigstens den Vieren im Auto noch ein langes Leben wünschen, über Ort und Art ihres sehr baldigen Todes auf.
Als Armee im Schatten im September 1969 in Paris uraufgeführt wurde, hatte Jean-Pierre Melville bereits elf Streifen gedreht. Doch anders als bei den übrigen Filmen Melvilles vergingen neun (!) Jahre, bis man diesen endlich auch bei uns sehen konnte. Hatte man von deutscher Seite 1956 noch aktiv versucht, die Aufführung von Alain Resnais‘ Nacht und Nebel, einen Film über deutsche Konzentrationslager sowohl in der BRD als auch in Cannes zu verhindern, so griff man im Fall von Armee im Schatten zur später auch höheren Orts gern und häufig verwendeten Waffe des schlichten Aussitzens.
Die Geschichte ist, wie so oft in den Filmen Melvilles, ebenso einfach wie kompliziert, weil die Helden überaus sympathisch sind und letztlich doch exakt das gleiche tun wie die Bösewichter: sie morden, verletzen, sabotieren. Ihre Sache ist zwar eine gute (oder notwendige), aber die Helden scheitern, weil sie der Krieg gegen die Unmenschen selbst zu Bestien werden läßt. Ihr Sturz in unlösbare moralische Konflikte ist vorgezeichnet. Der Zuschauer erlebt eine echte Tragödie.
Nur einmal im ganzen Film greift der Gaullist Melville wider Willen - in die große Kiste der billigen Horror -Utensilien. In einer quälend langen Sequenz zeigt er de Gaulle bei der Ordenverteilung. Es entsteht dadurch der Eindruck einer Dominanz des bürgerlichen gegenüber dem sozialistischen Widerstand. Einzige überflüssige Szene.
Die Grundlage zu diesem Werk bildete ein gleichnamiger, 1943 erschienener Roman von Joseph Kessel, der lange Zeit als der Bericht über die Resistance galt und den Melville - damals selbst Mitglied der Resistance - 1943 im Londoner Exil las. 25 Jahre später vermischte er ihn mit eigenen Reflexionen und Erinnerungen aus dieser Zeit zu dem letzten „undifferenzierten“ Werk über den französischen Widerstand. Zwei Jahre später kam Marcel Ophüls‘ Le chagrin et la pitie, eine Dokumentation über die französische Kollaboration mit den Deutschen heraus, die nach der Entrüstung über diese „Frechheit“ das Augenmerk der französischen Öffentlichkeit doch endlich auch auf diese wunden Punkte der jüngsten Vergangenheit lenkte und die Auseinandersetzung darüber vorantrieb.
Vorherrschend in diesem „kalten“ Farbfilm sind Schwarz, Grau, Grün und Weiß. Sie verschärfen die bedrückende Atmosphäre ebenso wie die typische karge Ausstattung, die zwar detailgetreu der damaligen Zeit nachempfunden ist, aber auf jeden Krümel zuviel bewußt verzichtet. Melville soll ja auf den Zentimeter genau nur immer den Teil eines Raumes ausgestattet haben, den er für eine Szene unbedingt brauchte.
Ventura, der wie Delon die Rolle erst ablehnte, weil er fürchtete, nur in einem „weiteren“ Resistance-Film auftreten zu müssen, dann aber doch zusagte, als Melville ihm erklärte, wie er den Film machen wolle, spielt den wortkargen (um nicht zu sagen maulfaulen), traurigen und fest entschlossenen Intellektuellen sehr überzeugend. In ihren Erinnerungen berichtet Simone Signoret, daß Ventura und Melville sich gleich zu Beginn der dreimonatigen Dreharbeiten zerstritten hatten und kein Wort mehr miteinander wechselten. Sie vermutet: Dieser Streit wirkte sich letztlich positiv auf Venturas schwierige Rolle aus.
Philippe Andre
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