: Der ungläubige Gregor
■ Aufgerührte Seelen um Gysi-Auftritt in einem Gemeindehaus in Hannover
Eine „Gastpredigt“ auf der Kirchenkanzel blieb ihm zwar am Ende verwehrt, nicht jedoch die Gelegenheit zu einem fast ebenso öffentlichkeitswirksamen Auftritt auf christlichem Parkett: Der PDS- Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi, vormals erster Parteichef der SED-Nachfolger, immer noch publikumswirksames Zugpferd der Partei und nach eigenen Worten „ein Heide, zu dem die Religion bisher noch nicht gekommen ist“, stellte sich am Samstag abend im Gemeindehaus Johannes der Täufer in Hannover-Wettbergen nach Gottesdienst und 40minütiger Ansprache den Fragen von Gläubigen oder einfach Neugierigen. Für die umstrittene Einladung des Ost-Politikers mit SED-Vergangenheit von 1967 bis zur Wende hatte die Gemeinde reichlich Prügel bezogen.
Die Verfolgung von Christen in der DDR und das Verhältnis der SED-Nachfolgepartei PDS zur Kirche brachten viele Protestanten gegen ihren Pfarrer Berthold Schwarz und den Gemeinderat auf. Nach den „Linken“ Gerhard Schröder, Günter Wallraff und Günter Gaus in den Vorjahren nun Gysi am Neujahrstag auf der Kanzel: Das ging nicht nur konservativen Kirchgängern über die Hutschnur. Zwei CDU- Politiker beantragten nach der Einladung Gysis ins Gemeindehaus sogar den Wechsel in eine andere Kirchengemeinde, das Landeskirchenamt erklärte die Wettbergener Offerte für „überaus unglücklich“.
Vor Gysis Ankunft im Gemeindehaus machten Bürger der Ex- DDR ihrem Ärger auf Protestschildern Luft. „PDS-Gysi unter dem Kirchendach: Eine unerträgliche Verhöhnung aller Opfer des kommunistischen SED-Staates“ hatte beispielsweise der 1990 aus Ostdeutschland nach Hannover gezogene Gunter Wollny (43) auf sein „Begrüßungsplakat“ gepinselt.
Zu den insgeheim befürchteten Ausschreitungen kam es jedoch weder vor noch im Gemeindesaal: Die Wettbergener Gemeinde zeigte die von ihrem Pfarrer Berthold Schwarz eingeforderte christliche Toleranz und erleichterte dem ungläubigen Gregor damit die ersten Schritte auf dem ungewohnten Terrain.
Der zeigte sich in klerikaler Umgebung gewand wie immer und hielt sich gar nicht erst lange mit wortreichen Erklärungen über seine Einstellung zum Glauben auf. Zwischen Sozialismus und Christentum gebe es viele Parallelen, beide blickten auf eine widersprüchliche Geschichte mit Licht und Schatten zurück, hatte Gysi der Gemeinde mitzuteilen und schon war die Brücke gebaut, von der aus der Abgeordnete zu seinen Zuhörern und Zuhörerinnen sprach. Und das blieb auch die einzige Reminiszenz des Abgeordneten an seinen ungewohnten „Spielort“. Gysi wechselte gleich in sein eigentliches Metier, der sprachlich geschliffenen, bei Temperamentsausbrüchen „berlinerisch“ eingefärbten, teils fast schon kabarettreifen Beschreibung der Lage in Deutschland aus seiner Sicht.
Auch wenn von dieser Sicht der Dinge am Ende nicht alle Zuhörer in Hannover überzeugt waren, die Aufregung um Gysis nach eigener Aussage „ersten Auftritt in einer Kirche, in der praktiziert wird“, hatte sich noch am gleichen Abend wieder gelegt. dpa
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen