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Der ungereimte Mann

Nicht länger „Prince of Darkness“, aber etwas Schwarz muß schon sein: Andrew Eldritch, Alleininhaber der „Sisters of Mercy“, auf Tour  ■ Von Thomas Winkler

Das erste, was ich von ihm sehe, sind die grauen Haare an seinen Schläfen. Vereinzelt, aber doch gut sichtbar haben sie sich eingeschlichen. Plötzlich wird mir klar, wie lange das schon her ist: damals, als Andrew Eldritch noch eine tiefschwarze Mähne hatte und in Interviews die Musik seiner Band scherzhaft als „Speed Folk“ charakterisierte. Eine Musik, die in den beginnenden 80ern in eine Sparte eingeordnet wurde, die heutzutage kein Mensch mehr kennt: Positive Punk.

Ein obskurer Begriff, wie so viele andere auf die Musik der Sisters of Mercy schon damals sicher nicht zutreffend. Zu der Zeit gab es allerdings auch noch keinen Dark Rock, und das Label „Gruftie“ noch nicht einmal als abfällige Bezeichnung – auch wenn die so Titulierten es mittlerweile mit rechtem Stolz tragen und die Wortschöpfung es sogar bis ins Englische geschafft hat.

Andrew Eldritch mag es gar nicht leiden, wenn – vor allem im Zusammenhang mit ihm – das Wort „Gruftie“ fällt: „Ich habe versucht, mein Image zu ändern. Ich bin seit zehn Jahren nicht mehr ganz in Schwarz aufgetreten. Aber ich könnte morgen eine Heino- Platte übernehmen und meinen Namen draufschreiben, und jeder würde sagen: Gothic.“ Da sitzt er, sichtlich unlustig, den Werbemaßnahmen seiner Plattenfirma nachkommen zu müssen. Man hat ihn, den gebürtigen Engländer, von einem Mischpult in Hamburg (seiner Heimatstadt seit 1984) weggeholt, um so etwas Lästiges zu tun wie Interviews zu geben. Aber er nimmt es in Kauf, um das nächste seiner regelmäßig stattfindenden Comebacks zu befördern.

Eldritch hat sich immer sehr viel Zeit gelassen für seine Platten, „weil man keine guten Texte schreiben kann, wenn man kein normales Leben mehr führt“. Also managt er sich selbst und telefoniert und faxt und telefoniert wieder und führt sein normales Leben. Notgedrungen wählte er einen gemütlichen Drei-Jahre-Rhythmus für LPs, hat es aber trotzdem auf ganze vier Stück gebracht. Und weil er es leid war, „jedesmal total totgesagt zu werden“, steigert er seine Aktivitäten im Moment fast zu Rockstar-Dimensionen. Seit einem Vierteljahr gibt es eine Best- of-Platte der Sisters (auf der sogar eine neue Single namens „Under The Gun“ enthalten ist), er schreibt an einer neuen LP und geht auf Tournee – eine Tätigkeit, die ihm eigentlich verhaßt ist: „Guck mich an, wie ich gebaut bin. Ich verliere bei jedem Konzert unheimlich an Körpergewicht.“

Aber das Fliegengewicht, physisch gesehen, ist nur eines der Probleme, die Eldritch dann doch davon abhalten, ein richtiger Rockstar zu werden. Ein anderes sind „die Medien“, natürlich, vor allem die schreibenden. Seit Jahren verfolgt dieses hagere Männchen der Vorwurf, ein zutiefst depressiver Mensch zu sein – und zutiefst depressive Musik für andere zutiefst depressive Menschen zu machen. Und er weiß auch, woran es liegt: Es ist sein Bariton. „Nur der gibt den Leuten die Möglichkeit, bei ihren blöden Vorurteilen zu bleiben. Eigentlich habe ich mich nie um ein Image gekümmert, bis mir klar wurde, daß unsere Platten dahingehend indiziert wurden. Tatsächlich haben wir uns schon früher ziemlich grell angezogen. Wir sind auch in Frauenklamotten aufgetreten, mit Strapsen und drum und dran, nur um den Leuten das Gegenteil zu beweisen.“ Und nestelt zum Beweis sein quietschbuntes Hemd unter seiner schwarzen Weste hervor. „Wenn ich bei Festivals teilweise vor 30.000 Leuten spiele, dann kann ich kein Gruftie sein, denn so viele Grufties gibt's gar nicht.“

Als die Sisters of Mercy 1985 tourten, wählten sie in Abwandlung des berühmten Timothy- Leary-Slogans aus der Hippiezeit das Motto „Tune In, Turn On, Burn Out“. Daß das – oder die gerne aus der Untersicht aufgenommenen Fotos in strenger Sonnenbrillen-Kleiderordnung – möglicherweise etwas mit den Image- Problemen seiner Band zu tun haben könnte, sieht Eldritch ganz anders. Wenn er sich prinzipiell nicht ohne Brille ablichten läßt, so liegt dem ein anderes Problem zugrunde: Er möchte nicht gern in hanseatischen Supermärkten erkannt werden.

Die Best-of-Compilation trägt den dezent bombastischen (ironisch zu verstehenden) Titel „A Slight Case Of Overbombing“. Auf dem Cover steht, gar nicht verschämt, „Greatest Hits Volume One“ – in Erwartung noch besserer Zeiten. Die neue Single des Mannes, der so vehement gegen sein Image kämpft, fällt allerdings zwischen „Temple of Love“ oder „This Corrosion“ nicht weiter auf – weder negativ noch positiv. Zwar ist „Under The Gun“ ruhiger und von Keyboards dominiert, aber das war auch der Solo-Ausflug 1986 (unter dem Namen Sisterhood).

Damals hatten Wayne Hussey und Graig Adams die Band verlassen, um als The Mission mit einer zwar ausgedünnten, aber cleveren Version der ganzen Chose endlich mal richtig Kasse zu machen. Der folgende Privatkrieg, der zwischen ihm und The Mission um den Namen Sisters of Mercy tobte, ernährte nicht nur einige Anwälte und führte zu einer Inflation von sistersähnlichen Bandnamen, er zwang Eldritch aus Vertragsgründen auch dazu, auf dieser Platte nicht selbst zu singen. Das Resultat, „Gift“ betitelt, war komisch, nicht nur deswegen. Recht fragmentarisch, angeblich stümperhaft und schlampig aufgenommen. Die Plattenfirma fand's so komisch, daß sie ihn rausschmiß.

Noch komischer ist, was Eldritch heute über die Platte denkt: „Für mich war das eine Techno- Platte. Oder was ich damals für Techno hielt.“ Wie er sich überhaupt „für ziemlich viel, was in den 80ern passiert ist – mit anderen Leuten zusammen natürlich –, verantwortlich fühlt“. Für anderes fühlt er sich dafür gar nicht verantwortlich. So für die Tatsache, daß er bei der gerade anlaufenden Tournee nicht nur mit den Ramones und Monster Magnet, sondern auch mit Type-O-Negative die Bühne teilen wird, jener amerikanischen Kult-Fascho-Band, deren Konzerte in Deutschland regelmäßig und vehement von autonomen Aufläufen unterbunden wurden, die aber, ganz Böhse-Onkelz-mäßig, innerhalb kürzester Zeit und unter tätiger Mithilfe ihrer neuen Major-Plattenfirma einen dramatischen Wandel zu einer wertneutralen Dumpfbacken-Metal-Band hin durchschritten hat.

Eldritch mag Metal sowieso nicht – außer Motörhead: „Ich kenne kaum Heavy-Metal-Platten, aber wenn ich auf die Texte sehe – mit den wenigsten von den Leuten möchte ich essen gehen.“ Ihm genügt es, daß Type-O-Negative mit ihnen zusammen auf einem Plakat stehen, in dessen Ecke eine zum Hitlergruß gereckte Hand mit den Worten „Wir müssen draußen bleiben“ inkriminiert wird: „Man hat mir ein Tape vorgespielt, wo Type-O-Negative sagen, daß sie mißverstanden wurden. Wenn da überhaupt was war, ist es widerrufen worden. Und ich finde, man sollte sich über Widerrufe freuen und nicht Leute auf immer und ewig ausgrenzen.“

Wenigstens damit hat er also kein Problem. Auch nicht damit, daß man wohl kaum die neuen Songs zu hören bekommen wird, weil „ein Festival mit dem Schwerpunkt Hardrock wohl kaum der neue Ort ist, was Neues auszuprobieren“. Das glaubt man ihm allerdings aufs Wort: daß er zu seiner Vergangenheit steht: „Ich nehme mich sehr ernst – aber das tun die meisten Komiker auch.“ Was natürlich nicht heißen soll, daß die Sisters of Mercy jemals komisch gemeint waren.

Musikvideos sind übrigens in Eldritchs Meinungspanorama auch „blöde“, weil „die Leute in der Videobranche blöde sind. Die können Bertolucci nicht mal buchstabieren.“ Madonnas „Rain“ aber findet er schön. Völlig daneben sind aber wieder Sampler. Heutzutage geht es sowieso nur noch um den Sound, und deshalb wird nur noch geklaut, „denn es ist viel leichter, eine Platte zu machen, die wie eine Platte klingt, wenn das schon eine Platte war.“

Seine Computer, und von denen hat er einige, liebt er trotzdem. Und darauf, daß sie eine der ersten Rockbands waren, die mit einer Rhythmusmaschine – dem legendären Dr. Avalanche – arbeiteten, ist er immer noch stolz. Daß aber ausgerechnet die bisher letzte LP „Vision Thing“ mit einem echten lebendigen Schlagzeuger rhythmisch so eintönig klingt, daß es nervtötend ist, ist natürlich mein persönliches Problem. „So eine klinische Disziplin von hinten erlaubt es, vorne viel freier zu sein“, erklärt er mir, „das sollte wie Herzklopfen klingen. Nach einer Weile merkt man es nicht mehr, aber bei dir hat das wohl nicht funktioniert.“ Und grinst noch einmal wie eine Maus.

Und um den Ungereimtheiten noch eine weitere hinzuzufügen: Obwohl Andrew Eldritch nie Dark Rock gemacht hat, bleiben die Sisters of Mercy die beste Band im Melancholie-Bezirk. Auch wenn der Schuster seine Leisten nicht leiden kann: Handwerk hat immer noch goldenen Boden.

6.12. Stuttgart, 7.12. Berlin, 8.12. Frankfurt/Main, 10.12. München, 12.12. Hannover, 13.12. Bremen, 14.12. Hamburg, 16.12. Essen, 17.12. Halle

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