: Der unendliche Hunger nach Bildung
■ Wenn das Stimmungsbarometer im Studiengang Kulturwissenschaften an Bremens Uni fällt, gehen die StudentInnen in die Offensive / „Leute wie wir sind doch nötig“
„Der Gründerväter-Elan kommt wieder“, sagt Windi und lacht, wenn man ihn fragt, warum: „Das liegt an uns, an den Studenten.“ Windi ist einer von rund 1.100 Studierenden im Fach Kulturwissenschaften und er hält seinen Studiengang für den aktivsten in der Uni – auch wenn viele nach kurzer Zeit aufgeben: „Kuwi und Geschichte, wir haben Power.“ Weil Windi aber noch nicht studierte, als das Fach 1985 in Bremen aus der Taufe gehoben wurde, kennt er den Gründerväter-Elan nur vom Hörensagen – als ideelle Größe, möglicherweise als idealisierte.
Überhaupt nährt sich manches in der Kulturwissenschaft vom Gerücht. Und das besagt über die Gründungslegende auch Gegenteiliges: Eine AB-Maßnahme für überflüssige Professoren aus der LehrerInnenausbildung sei der Studiengang gewesen – keine Überzeugungstat. Franz Dröge, Beauftragter für die Lehre im Magisterstudiengang, sieht das anders: „Die Zahlen in der Lehrerausbildung sind nicht zurückgegangen. Wir wollten damals einen interdisziplinären Studiengang mit einem breiten Qualifikationsprofil.“ Wenn der gigantische Fachkomplex Kulturwissenschaft überhaupt Grenzen hat, dann seien es vor allem pragmatische: „Wir würden den Medienbereich gerne ausbauen. Angesichts der Haushaltslage ist daran aber nicht zu denken.“
Unter Studierenden, zu 70 Prozent weiblich, findet das Fach regen Zuspruch. „KuWi ist ein Modefach geworden,“ sagt Stefan Potthast. Allein in den letzten zwei Jahren haben sich für's Haupt- und Nebenfach KuWi in Bremen 200 Personen zusätzlich immatrikuliert. Stefan ist in der studentischen Vertretung; KuWi sieht er eher als „Studium Generale“ – „was jeder daraus macht, ist seine Sache. Darin liegt ja die Chance dieses Studiums.“
Wie er denken die meisten – und diese Mischung aus Hoffnung und „Survival of the Fittest“ prägt das Selbstbild der Studierenden. Gleichzeitig gehört es zu den bedrückendsten Themen im Studiengang. Denn das Gespenst von den vielen „Erstis“, die kurz nach Studienbeginn die Flinte schon wieder ins Korn werfen, geistert nicht nur durch die Presse. Auch wenn ,Der Spiegel' schlecht recherchiert habe, als er von 1.200 Kulturmanagern schrieb, die niemand einstellen will – das Problem der vielen AbbrecherInnen ist bekannt. Aber das hält er nicht für bedenklich: „Viele nutzen das Studium eben zur Orientierung und setzen später den Schwerpunkt in einem anderen Fach.“
Außerdem gilt: „Wer sich hier nicht zurechtfindet, kann sich später auch nicht im Beruf behaupten“. So sieht es die Studentin Marion Klump. Und auch Annika Bialas ist seelisch darauf vorbereitet, jemanden überzeugen zu müssen, damit er sie später einstellt. „Man muß sich seinen Arbeitsplatz selbst schaffen.“ Dieses Motto kursiert unter den Studierenden mindestens ebenso hartnäckig wie die Vorstellung, daß das wirklich klappen könnte. Wer herumfragt, erfährt, daß niemand eine Absolventin des Magisterstudienganges kennt oder weiß, ob wenigstens die erste Generation Hartnäckiger mit Berufstätigkeit im studierten Fach belohnt wurde. Aber solange es von ihnen kaum 20 gibt, ist auch das Gegenteil noch nicht bewiesen. Solange werden die StudentInnen der eigenen Logik folgen. Die wirkt fast dialektisch, wenn sie sagen, das Beste im Fach KuWi sei die Offenheit des Lehrplanes: das selbstbestimmte Lernen. Denn just darin liegen auch seine größten Nachteile. Und das beschwören dieselben.
Zwar scheinen manche Themen etwas abgelegen: „Die untergegangenen Kirchspiele der Edomsharde“, die beispielsweise im friesischen Wattenmeer aufgespürt werden sollen. Oder „Scheiße – die Menschen und ihre Ausscheidungen“, ein Grundkurs in der empirischen Kulturforschung. Dennoch beurteilen viele Studierende ihr Fach als „eher zeitgemäß“. Schließlich biete das Vorlesungsverzeichnis ja auch jede Menge naheliegende Themen an: Vom „wissenschaftlichen Arbeiten“ bis hin zur „gegenwärtigen Krise der deutschen Universität“.
Da haben wir's: In der Vielfalt der Themen spiegelt sich die Grundidee des Fachbereiches: Weil alles komplexer wird, brauche man Menschen, die zwischen den einzelnen Lebensbereichen Verbindungen herstellen könnten und flexibel sind, glaubt Stefan Potthast. Und diese „unangepaßten Querdenker“ wollen sich nicht mit aussichtslosen Jobprognosen begnügen: Im Juni soll das erste studentisch organisierte Symposium stattfinden. Nicht von ungefähr lautet sein Titel „Zusammenhänge, Traditionen und Visionen der Kulturwissenschaft“. Denn was die Einzelnen frustriert, gilt auch überregional. Weil die Studierenden es leid sind, sich immer rechtfertigen zu müssen, werden sie nun offensiv: „Leute wie wir sind doch nötig“, glauben viele von ihnen. ede
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