Der sonntaz-Streit: „Hungerstreik ist Wirklichkeit“
Es gibt eine Rechtsordnung, sagt Oberbayerns Regierungspräsident. Es gibt einen Hilferuf, sagt Pro Asyl. Sind Hungerstreiks Erpressung?
Der Regierungspräsident von Oberbayern hält Hungerstreik für Erpressung. „Letztlich kann nicht überzeugen“, schreibt Christoph Hillenbrand im Streit der Woche der sonntaz, „dass diejenigen, die in Deutschland den Schutz der hier geltenden Rechtsordnung suchen, für sich beanspruchen, außerhalb dieser Rechtsordnung behandelt werden zu wollen.“
Als im Sommer Flüchtlinge am Münchner Rindermarkt in den Hungerstreik getreten waren, um für bessere Lebensbedingungen für Asylsuchende zu protestieren, hätten Stadt und Land ständig das vermittelnde Gespräch gesucht - und, so Hillenbrand, „alles Vertretbare unternommen, um Leben wie Gesundheit der ,trocken Hungerstreikenden' zu schützen“.
Nachdem die Flüchtlinge ihre Forderungen in Bayern nicht durchsetzen konnten, zogen sie im Herbst nach Berlin und setzten ihren Hungerstreik bis vergangenen Sonntag am Brandenburger Tor fort. Währenddessen kam es in der Justizvollzugsanstalt Rosdorf zum Hungerstreik: Acht Sicherungsverwahrte protestierten für bessere Haftbedingungen. Und in der russischen Olympiastadt Sotschi nähte sich ein Mann den Mund zu, um gegen die Ausbeutung von Tagelöhnern zu demonstrieren.
Wie Greenpeace gegen Russland kämpft. Eine Reportage aus dem Innern des Umweltriesen lesen Sie in der taz.am wochenende vom 26./27. Oktober 2013 . Außerdem: Apple hatte versprochen, die Arbeitsbedingungen in China zu verbessern. Fabrikarbeiter und Arbeitsrechtler berichten, ob sich wirklich etwas getan hat. Und: Der Herbst eines Superstars - ein Portrait von Dirk Nowitzki. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
„In demokratischen Ländern, wo die Grundrechte ernst genommen werden, darf der Hungerstreik nicht Mittel der ersten Wahl sein“, findet Thomas Noll, der in Pöschwies den Strafvollzug leitete - dort war Anfang des Jahres ein hungerstreikender Insasse gestorben. Gefängnisbehörden dürften sich durch Hungerstreiks nicht manipulieren lassen. Auch die Juristin Brigitte Tag hält Nahrungsverweigerung für das „letzte Mittel“: Selbst wenn sie für einen urteilsfähigen Inhaftierten Ausdruck seines Rechts auf Selbstbestimmung sei.
Der Rechtsanwalt Hubert Heinhold schreibt zur sonntaz-Frage: „Man sollte nicht überlegen, welche Straftatbestände auf die Hungerstreikenden passen, sondern welche auf die, die deren Not zu verantworten haben.“ Der Pfarrer Bernhard Fricke schreibt: „Das ist keine Erpressung, sondern die Wirklichkeit“. Und Günter Burkhardt von Pro Asyl sagt: „Hungerstreik ist ein dramatischer Hilferuf und Ausdruck einer Verzweiflung.“
Die Streitfrage in der aktuellen sonntaz vom 26./27.Oktober beantworteten außerdem Ghlam Vali, der Hungerstreikender am Brandenburger Tor war, Hakan Tas von der Linkspartei, Elke Wooning, die für die Aufhebung einer Straßensperre hungerte, Günther Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin, Uwe Bülau, Landesvorsitzender der Gewerkschaft Strafvollzug in Sachsen-Anhalt, und die taz-Leser Tim Leuther und Paula Rösler.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja