■ Der serbo-kroatische Endschlag gegen Bosnien: Lernfähige Sieger
Mit der Hauptstadt Sarajevo steht der international anerkannte Staat Bosnien-Herzegowina dieser Tage vor dem Fall. Nach 14 Monaten Dauerbeschuß setzen die Truppen des selbsternannten „Präsidenten“ der bosnischen SerbInnen, Radovan Karadžić, seit Samstag zur Eroberung der Mehrvölker-Metropole an. Zeitgleich verstärken serbische Milizen ihre Angriffe auf die UN-Schutzzone Goražde, Einheiten des „Kroatischen Verteidigungsrates“ HVO brechen den letzten muslimischen Widerstand in Mostar, der Hauptstadt der Herzegowina. Am Ende des Krieges um Bosnien wird eine Teilung der Republik zwischen Kroatien und Serbien stehen. Den SerbInnen werden runde 65, der international nicht anerkannten „Republik Herceg-Bosna“ des Kroaten Mate Boban runde 15 Prozent des Territoriums zufallen. Mit der Teilung einhergehen wird die Austreibung der MuslimanInnen, die zu Kriegsbeginn 65 Prozent der Bevölkerung Bosniens gestellt hatten.
Der Endschlag gegen Sarajevo ist nicht etwa Folge einer veränderten militärischen Lage. Die Möglichkeit, die bosnische Hauptstadt zu erobern, haben die serbischen Militärs schon seit Monaten. Was die Belagerer, die sich mit ihren Geschützen in den Bergen um Sarajevo eingegraben haben, bis vor einer Woche an einer Einnahme und endgültigen Zerstörung dieses multikulturellen Symbols hinderte, war die Gefahr eines Eingreifens der internationalen Gemeinschaft in die Kämpfe. Daß diese Gefahr mittlerweile gebannt wurde, verdanken die bosnischen SerbInnen und KroatInnen in erster Linie dem amerikanischen Außenminister Warren Christopher und seinem russischen Pendant Andrej Kosyrew. Zusammen mit den zuständigen Ministern Spaniens, Frankreichs und Großbritanniens hatten sie einen Plan für das ehemalige Jugoslawien ausgehandelt, dessen Kern nichts anderes ausmacht als die internationale Absegnung der serbo-kroatischen Gebietsgewinne in Bosnien.
„Containment“, zu deutsch: Eindämmung, nannte die Runde stolz ihre neue Balkan-Politik, deren vorrangiges Ziel es sein sollte, den Krieg im ehemaligen Jugoslawien zu isolieren. Es könnte sein, daß das genaue Gegenteil einer Isolierung herauskommen wird. In den Protokollen des Washingtoner Außenministertreffens können all die Karadžićs und Bobans dieser Welt lesen, daß die militärische Verschiebung von Grenzen, ja die Zerschlagung ganzer international anerkannter Staaten – knappe fünfzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs – auch innerhalb Europas wieder möglich ist. Was also sollte die schwerbewaffneten Milizen in Ex-Jugoslawien oder sonstwo hindern, sich zu nehmen, wonach sie dürstet? Wer glaubt denn eigentlich, daß aggressive Kriminelle und Psychopathen vom Schlage eines Karadžić oder Boban sich mit dem kleinen Bosnien-Herzegowina zufriedengeben würden?
Keiner der postkommunistischen, neunationalistischen „Politiker“ auf dem Balkan hat irgendwelche Pläne für die Zukunft seines „Staates“. Die wirtschaftlichen Kapazitäten der ehemaligen jugoslawischen Föderation sind durch den Krieg weitgehend zerschlagen. Die national gewendeten ExkommunistInnen aber, die in Serbien und Kroatien nach wie vor an den Schalthebeln der Macht sitzen, haben in den zwei Jahren seit Kriegsbeginn deutlich gemacht, wie weit sie gehen können, wenn es um die Erhaltung ihrer politischen Führungsrolle geht. Und weil es offenbar niemanden gibt, der die Eroberungskrieger wirksam aufhalten will, werden sie weitermachen. Wenn nicht in Bosnien, dann eben anderswo. Rüdiger Rossig
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