Das Portrait: Der schöne Zar
■ Nikolai I. Pawlowitsch
Als der fünfjährige Lew Kopelew in Kiew Zeuge der Februarrevolution wurde, lebte sein Urgroßvater noch. Der Greis war unter dem Zaren Nikolaus I. Soldat geworden, Träger zweier Georgskreuze und trotz seiner fast hundert Jahre noch in der Lage, mit seinem Gehstock zackig zu exerzieren. „Ein strenger Zar war das“, erzählte er seinem Urenkel. Etwas beschränkt sei er gewesen, aber einsichtig genug, um auf seine Heerführer zu hören. Zum Beispiel auf Admiral Nachimow, den Helden, ohne dessen Tod, wie der Urgroßvater meinte, Rußland ganz bestimmt den Krimkrieg gegen das Osmanische Reich gewonnen hätte.
Die Erinnerung von Kopelews Urgroßvater an den Zaren Nikolaus I. hatte keineswegs getrogen. Nikolaus, am 6. Juli 1796, also heute vor 200 Jahren geboren und Alleinherrscher Rußlands von 1825 bis 1855, galt der Mit- wie Nachwelt als Personifikation des Militarismus und der äußersten Reaktion. Er hatte sein Regime mit der Niederschlagung des liberalen Offiziersaufstands der „Dekabristen“ begonnen und beendete es, indem er den „Völkerfrühling“ von 1848 in Europa niederwalzen half.
Seine dreißigjährige Regierungszeit war bestimmt von der Angst vor revolutionären Umtrieben. Er haßte von ganzem Herzen die Polen, Juden und Liberalen. Dieser teuflischen Troika setzte er das Dreigestirn von Autokratie, Orthodoxie und „Narodnost“, den Glauben an die Größe Rußlands, entgegen. Er herrschte mit Hilfe von Sonderkommissionen, zum Beispiel der berüchtigten „Dritten Abteilung“, einer politischen Polizei, deren Aufgabe nach allerhöchstem Dekret es war, „ohne Ausnahme über alle Vorkommnisse zu berichten“.
Das Bild von Rußland bis in unser Jahrhundert hinein ist entscheidend durch diese „Herrscherpersönlichkeit“ geprägt worden. Dafür sorgte nicht zuletzt der Marquis Adolphe de Custine, ein intelligenter Beobachter, desssen Rußlandtagebuch der liberalen Öffentlichkeit Europas einen Schauder nach dem anderen über den Rücken jagte und selbst noch Karl Marx' gerechten Haß auf die Autokratie beflügelte.
Das einzig Positive, was die Zeitgenossen über diesen mitleids- und ideenlosen Zaren, der nur sein Heer und seine Familie liebte, zu sagen hatten: Er war ein wirklich schöner Mann. C.S.
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