: Der richtige Rhythmus
■ Zu Hans Herbsts Erzählband „Gringo & andere Geschichten“
Vier Bücher hat Hans Herbst bisher publiziert. Keines davon ist mehr lieferbar. Am Beispiel Herbst läßt sich sehr schön zeigen, wie fatal ein Verlagswechsel sein kann. Drei Bücher durfte Herbst nach seinem Sprung vom Kleinstverlag zum Medienkonzern veröffentlichen, dann kam die Verramschung. Die Bücher des Schriftstellers, der einen Roman wie „Mendoza“ geschrieben hat, der zum wichtigsten gehört, was die deutsche Literatur der Achtziger hervorgebracht hat, waren kein Verkaufserfolg. Herbst hatte das Pech, daß er im falschen Umfeld stand und nicht mehr in die Zeit paßte. Seine wunderschönen Geschichten mit ihren an Hemingway geschulten Sätzen und Inhalten aus „Siesta“ waren für die Ego- und Videoclip-orientierten Achtziger zu altmodisch. Und sein Roman, der das Schicksal eines asylsuchenden Chilenen erzählt, der den Folterschergen der Colonia Dignidad entkommen konnte, fiel in eine Zeit, in der die Colonia mal nicht gerade in aller Munde war.
Nach fünf Jahren jetzt ein Neuanfang bei Maro, einer der ersten Adressen unter Deutschlands Kleinverlagen. Im Kreise von Bukowski, Fante, Brautigan, Abbott und all den anderen Amis steht Herbst bedeutend besser als neben Margarete Hannsmann und Walter Kempowski.
In einigen Geschichten stehen Männer im Mittelpunkt, die auf der Flucht sind: Vor den neuesten Trends und Moden, dem Tinnef und Chichi einer ihnen verhaßten „Plastikwelt“ oder vor einer zwielichtigen Vergangenheit, die sie einzuholen droht. Über den Protagonisten der spannenden, atmosphärisch ungemein dichten Story „Vergangenheit“ heißt es: „Alles war zu Ende, mein ruhiges Leben, die Sicherheit, mit der ich an den Grenzen meinen Paß vorzeigte, ohne schneller zu atmen, alles war vorbei, ich hatte die Spuren doch nicht gut genug verwischt. Sie waren wieder da und führten zu mir, wie durch frischgefallenen Schnee. Und ich war zu alt, um noch einmal ein paar Hemden und was man so braucht in eine Reisetasche zu stopfen und mich auf den langen Weg zu machen, an dessen Ende man ganz von vorne beginnt.“
In anderen Geschichten geht es um die Lebensumstände in Dritte- Welt-Ländern. „Salario Minimo“ erzählt vollkommen unpathetisch von der Ausbeutung der Unterprivilegierten. In „Danke, Franz“ geht es um einen Überfall auf offener Straße, und „Karneval in Bahia“ spürt unter anderem einem brasilianischen Opfer-Mythos nach. Schließlich gibt es noch mehr Geschichten, in denen Herbst unverhohlen seiner Neigung zur Erotik und seiner Leidenschaft zu dunklen Bars und zur afro-lateinamerikanischen Musik frönt.
Ein Grundthema aller Geschichten ist das Gewinnen und Verlieren, das Ausrichten des Lebens nach diesen „seltsamen Begriffen von Mut und Ehre“. Fast immer geraten Herbsts Helden in Situationen, in denen man sich binnen weniger Augenblicke für eine Seite oder Sache entscheiden muß. Auf dem Spiel stehen die für Herbst elementarsten Werte: Freundschaft und Glaubwürdigkeit. In diesen Konstellationen, dem Hin- und Hergerissensein zwischen Konvention, Ausreden, Feigheit, Aufstand und Courage, beweisen sich Herbsts Figuren als Menschen: In den seltensten Fällen gewinnen sie nämlich den Kampf gegen sich selbst. Gerade, weil Herbst uns keine Sieger vorführt, sind uns seine Feiglinge und Mitläufer so sympathisch. Ihr Wissen um die Niederlage, ihr schlechtes Gewissen macht Herbsts Utopie vom besseren Menschen erst glaubwürdig und anstrebenswert.
Wie alle gute Unterhaltungsliteratur sind auch die Geschichten von Herbst zugleich mehr als nur Unterhaltung. Sie sind, wenn man so will, auf eine ganz unaufdringliche Weise radikal politisch und parteiisch. „Sommerabend“ zum Beispiel erzählt auf zweieinhalb Seiten ein paar Minuten im Leben eines Mannes, der vor einer Bar hockt, ein Bier trinkt und der Jazzmusik lauscht, die im Hintergrund aus den Boxen kommt. Nichts passiert, der Mann lauscht der Musik, schließt die Augen und versucht, sich die Musiker in Aktion vorzustellen. Der Kellner kommt und kassiert: „Feierabend hier draußen“. Kein Erbarmen, der Jazzliebhaber muß gehen. Ohne einen einzigen belehrenden Satz ist hier alles gesagt über Kulturbanausentum, die Gesetze der freien Marktwirtschaft, deutsche Ordnungsliebe und den kapitalistischen Darwinismus.
Herbst ist auf seine Art ein einzigartiger Missionar. In seinen Geschichten liegt die Weisheit des weitgereisten Globetrotters, großen Menschenkenners und Humanisten. Er ist ein scharfer Beobachter und pointierter Porträtist. Auch wenn nicht alle Geschichten gleich stark sind, einige Bilder sich wiederholen, unterstreicht „Gringo“ nachhaltig Herbsts Meisterschaft der knappen Dialoge — das wird besonders deutlich, wenn man die zwei etwas schwächeren Texte betrachtet, die in Rückblenden erzählen — und der einfachen Sätze. Wie nur wenige Gegenwartsautoren hierzulande besitzt Herbst, der auch ein virtuoser Conga-Drummer ist, ein Gefühl für den richtigen Rhythmus, die passende Melodie seiner Sätze. Wer diese Geschichten liest, weiß, warum behauptet wird, die deutsche Sprache wäre schön. Wolfgang Rüger
Hans Herbst: „Gringo & andere Geschichten“, Maro 1992, 256 Seiten, 25 DM
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