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Der "Rinderwahnsinn" könnte für einen deftigen Verfassungskonflikt sorgen. Die EU-Kommission hat der Bundesregierung wegen des Einfuhrverbots von britischem Rindfleisch in drei Bundesländern mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof

Der „Rinderwahnsinn“ könnte für einen deftigen Verfassungskonflikt sorgen.

Die EU-Kommission hat der Bundesregierung wegen des Einfuhrverbots von britischem Rindfleisch in drei Bundesländern mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gedroht

Der Streit um BSE: eine Delikatesse für Juristen

Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) muß nicht fürchten, daß sein Gehirn nach dem Genuß einer Fleischbrühe in der Kantine erweicht. Denn in Bonn soll kein britisches Rindfleisch auf den Tisch kommen. Das hat die nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn (Bündnisgrüne) am Dienstag verkündet. „Im Zentrum meiner Politik steht die Gesundheit der Verbraucherinnen und Verbraucher. So lange nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden kann, daß von britischem Rindfleisch keinerlei Gesundheitsgefahr ausgeht, darf dieses Fleisch auf keinen Fall in den Handel gelangen“, so die streitbare Ministerin.

Um 25 Prozent ist der Umsatz der Metzger hierzulande zurückgegangen, seit die Menschen Angst davor haben, Fleisch von an „Rinderwahnsinn“ erkrankten Tieren auf dem Teller zu haben. Es sei nicht einzusehen, daß die deutschen Landwirte, deren Vieh garantiert nicht an der Bovinen Spongiformen Enzephalopathie (BSE) erkrankt sei, unter den Befürchtungen der Leute zu leiden hätten, argumentiert Höhn. Deshalb soll jede Lieferung von der Insel, von der die Überwachungsbehörden erfahren, unverzüglich zurückgeschickt werden. Auch Bayern und Rheinland-Pfalz wollen so verfahren. Die übrigen Bundesländer verlassen sich hingegen zunächst auf die freiwillige Selbstverpflichtung der Fleischindustrie, keine britischen Steaks, Pansen und Markknochen zu verwenden.

Am Dienstag ist die bundesweite Dringlichkeitsverordnung ausgelaufen, die Seehofer im letzten Sommer erlassen hatte. Damit hatte er einen Beschluß der EU- Kommission in nationales Recht umgesetzt. Ab sofort durfte nur noch britisches Rindfleisch importiert werden, wenn die Tiere nicht älter als zweieinhalb Jahre waren. Bei älteren Tieren mußte nachgewiesen werden, daß in ihrem Heimatstall seit sechs Jahren kein BSE-Fall aufgetreten war. Wo das nicht möglich war, sollte nur frisch entbeintes Muskelfleisch exportiert werden dürfen.

„Diese Festlegungen waren willkürlich“, meint Ernst-Michael Epstein, Referent für Lebensmittelrecht bei der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände. Nur weil bis dahin noch kein Tier gestorben war, das jünger als zweieinhalb Jahre war, könne man nicht darauf schließen, daß diese Rinder grundsätzlich ungefährlich für den Verzehr seien. Außerdem seien immer wieder Fälle aufgetreten, bei denen mit den Nachweisen von BSE-freien Ställen sehr lax umgegangen worden sei.

Das sah auch der Bundesrat so. Im Dezember 95 beschlossen die Ländervertreter deshalb einstimmig ein totales Importverbot für britische Rinder. Denn trotz der Selbstverpflichtung der Fleischhersteller waren auch 1995 noch etwa 400 bis 500 Tonnen britischer Kühe, Kälber, Steaks und Gulaschwürfel nach Deutschland gekommen. Im Jahr 1995 waren es nach Angaben des Verbands des Deutschen Groß- und Außenhandels mit Vieh und Fleisch (GAVF) noch 1.684 Tonnen gewesen – im Vergleich zum Gesamtimport von 450.000 Tonnen allerdings tatsächlich verschwindend wenig.

Das absolute Importverbot der Länder wollte Seehofer aber nicht übernehmen. Es sei mit dem freien Handel in der EU nicht zu vereinbaren, argumentiert er. Tatsächlich meldete sich gestern prompt die Kommission in Brüssel und drohte den Ländern NRW, Rheinland-Pfalz und Bayern mit einem Prozeß vor dem Europäischen Gerichtshof. „Beim Reinheitsgebot für Bier geht die Bundesregierung in die Offensive. Wenn es aber um eine wirkliche Gefahr für die Gesundheit der Verbraucher geht, riskiert sie den Konflikt nicht“, beschwert sich Verbraucherschützer Epstein. Andreas Saft vom GAVF sieht das persönlich hingegen ganz anders: „Es ist ein Skandal, daß drei Länder den Bundesminister zwingen wollen, gegen europäisches Recht zu verstoßen.“

In jedem Fall besteht in den meisten Bundesländern jetzt ein rechtsfreier Raum. Denn Horst Seehofer kann die Dringlichkeitsverordnung nicht ohne Zustimmung des Bundesrats in eine ordentliche Verordnung umwandeln. Der Schwarze Peter aber liegt bei den Landesregierungen in Düsseldorf, München und Mainz, die demnächst wahrscheinlich nach Luxemburg zitiert werden. Annette Jensen

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