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■ Der prominenteste Häftling Afrikas, Nigerias Ex-Präsident Obasanjo, hat heute Geburtstag. Ein Brief ins GefängnisKalter Wind des Vergessens

Sehr geehrter General Olusegun Obasanjo,

vermutlich denken Sie in diesen Tagen oft an den März 1995 zurück, als Sie in New York diverse Ehrungen zu Ihrem 60. Geburtstag entgegennehmen durften. Die gedruckte Festschrift, erschienen Ende Juli, haben Sie wahrscheinlich noch nie gesehen. Darin salutieren Ihre alten Freunde aus aller Welt: Jimmy Carter, Lord Callaghan, Chief Buthelezi, Robert McNamara, der mosambikanische Präsident Joaquim Chissano und Ted Turner, Chef des amerikanischen Fernsehsenders CNN.

Die Schrift ist ein prächtiger Sammelband, herausgegeben von Hans d'Orville, geschmückt mit Bildern afrikanischer und deutscher Künstler. Viva Obasanjo! Die Autoren zünden Wortfeuerwerke, in deren Widerschein sie sich selber spiegeln. Der Leuchtzauber ist allerdings recht schnell erloschen, und seither haben die meisten Gratulanten in Ihrer Angelegenheit wenig von sich hören lassen.

Am 13. März 1995, Sie waren gerade aus Übersee nach Nigeria zurückgekehrt, wurden Sie verhaftet. Man hat Sie in Ketten vor ein Militärtribunal gezerrt und zusammen mit 41 anderen Männern wegen Verschwörung und Hochverrats verurteilt. Es hieß, Sie hätten am 1. März einen Putschversuch gegen das Regime von Sani Abacha angezettelt, also just zu einem Zeitpunkt, als Sie noch im Ausland weilten.

Ihre Strafe – lebenslänglich – wurde unterdessen zu 15 Jahren Haft „abgemildert“, wie es so schön heißt. Sie verbrachten jeden Tag ihres 61. Lebensjahres unter Hausarrest oder hinter Gittern.

Wir wissen nicht, in welches Militärgefängnis man Sie verschleppt hat (vom Yola Prison ist die Rede). Aber wir haben im Herbst Ihren Kassiber erhalten. Darin berichten Sie, daß der Hauptbelastungszeuge schwer gefoltert wurde. Sie nennen den Prozeß einen „satanischen Betrug“ und bedanken sich für die Solidarität der internationalen Gemeinschaft. Damit ist es heute nicht mehr weit her.

Es stimmt, im Vorjahr gerieten Abacha und seine Handlanger schwer unter Druck. UN-Generalsekretär Butros Ghali und Papst Johannes Paul II. verurteilten Ihre Einkerkerung aufs schärfste, Nelson Mandela bat Abacha um Gnade für Sie und die anderen Häftlinge, Ex-Kanzler Helmut Schmidt rief sogar zum Ölboykott auf.

Den Tyrannen ließen die Gesuche und Proteste ziemlich unbeeindruckt. Als er am 10. November 1995 Ken Saro-Wiwa, den Vorkämpfer des Ogoni-Volkes, und acht seiner Mitstreiter hängen ließ, schrie die ganze Welt auf. Man fror die Waffenlieferungen an Nigeria ein und drohte General Abacha mit harten Sanktionen. Diplomaten verließen en masse das Land. Der Shell-Konzern, welcher ja bekanntlich recht profitabel mit dem Regime kollaboriert, stand am Pranger. Nigerias Mitgliedschaft im Commonwealth wurde suspendiert. Unterdessen ist aller Protest verstummt.

Womöglich haben Sie auch erfahren, daß die Botschafter in ihre Villen auf Victoria Island in Lagos zurückgekehrt sind. Ein Unglück – der mysteriöse Flugzeugabsturz, bei dem Abachas Sohn ums Leben kam – diente ihnen als diplomatischer Türöffner. Einer der ersten Kondolenten war der britische Botschafter Thorold Masefield.

Die Regierung in London hat übers Jahr offenbar die „entschlossenen Maßnahmen“ gegen das Militärregime vergessen. Im November hatte Premierminister John Major die Hinrichtung von Saro- Wiwa noch als „Justizmord“ gegeißelt. Keine drei Monate später machte sein oberster Gesandter den Mordgesellen seine Aufwartung. Mister Masefield ging voran, die anderen Kollegen von der Europäischen Union zogen nach. Und die von Abacha gekauften Kommentatoren atmeten auf: „Der Druck läßt nach.“

Seither können die Militärs wieder lautstark zum Halali blasen und ungestört Oppositionelle jagen. Ende Januar haben sie Gani Fawehinmi, den führenden Menschenrechtsanwalt Ihres Landes, verhaftet. Neulich wurde Alex Ibru, der unbequeme Herausgeber des Guardian, angeschossen und schwer verletzt. Unserem Freund Olatunji Dare, dem Leitartikler des Guardian, ist es gelungen, in die Vereinigten Staaten zu fliehen. Aber Moshood Abiola, der rechtmäßig gewählte Staatschef, Shehu Musa Yar' Adua, Ihr einstiger Vize-Präsident, Beko Randsome- Kuti und all die anderen Streiter für Demokratie und Menschenrechte sitzen weiterhin hinter Gittern.

Und Shell? Das Öl sprudelt weiter, die Profitrate stimmt. Zum Nutzen und Frommen der Militärherrscher pumpt der Multi so unverdrossen schwarzes Gold aus dem Niger-Delta, als sei nichts geschehen.

Die Konzernleitung kann ruhig schlafen, denn es gibt keinen nennenswerten Widerstand. Die Umweltbewegung in Europa bestätigt einen traurigen Verdacht von Ken Saro-Wiwa: Den „Ökos“ scheinen die Fische in der Nordsee doch wichtiger zu sein als die Menschen irgendwo in Afrika.

Übrigens hat Shell, unverfroren wie eh und je, versucht, die deutsche Übersetzung der Gefängnistagebücher von Saro-Wiwa juristisch zu vereiteln. Das Buch „Flammen der Hölle. Nigeria und Shell – der schmutzige Krieg gegen die Ogoni“ konnte dennoch im Rowohlt Verlag erscheinen. Es enthält auch ein Dossier, das die Herrschaften in Abuja verärgert haben muß. Jedenfalls ließen sie Paul Adams, einen der Autoren, unlängst in Polizeigewahrsam nehmen.

Aber solche Vorfälle sind den Zeitungen nur noch kleine Meldungen wert. Nigeria ist kein Thema mehr. Kalter Wind bläst Abachas Regime eigentlich nur aus Südafrika entgegen.

Präsident Nelson Mandela, den Sie ja zwei Mal im Gefängnis besucht hatten, hat Sie und ihre Mitstreiter nicht vergessen. Leider waren seine Versuche, Bill Clinton und John Major von einem Ölboykott zu überzeugen, vergeblich. Mandela muß allerdings darauf achten, sein Land durch allzu forsches Vorpreschen in Afrika nicht zu isolieren. Es ist schon beschämend, wie wenig Druck auch von den schwarzen Bruderstaaten kommt.

Ist Ihre Malaria besser geworden? Erhalten Sie Medikamente gegen Diabetes? Sehen Sie Ihren Anwalt? Dürfen Sie Besucher empfangen? Wir alle hoffen, daß der Alptraum in Nigeria bald ein Ende nimmt. Mögen Sie Ihren nächsten Geburtstag unter menschenwürdigen Umständen feiern – als freier Mann in einem freien Land.

Kordula Doerfler

und Bartholomäus Grill

PS: Nein, nicht alle haben Sie vergessen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat Ihnen soeben den Menschenrechtspreis 1996 verliehen.

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