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Der newyorkisierte Außenseiter

■ Zemlinskys Oper „Der Traumgörge“ in Bremen

Mitunter dauert es lange, bis bedeutende Kunstwerke ans Licht kommen. Und auch dann noch in Grau. Alexander Zemlinskys Oper Der Traumgörge gehört zu ihnen. Das Stück, kurz nach der Jahrhundertwende geschrieben, wollte Gustav Mahler 1907 an der Wiener Hofoper herausbringen; da er aber seinen Chefposten aufgab und nach New York ging, weil der nachfolgende Hofoperndirektor Weingartner die Juden und modernere Musik nicht leiden konnte, wurde die Uraufführung abgesagt, Zemlinsky ging zurück an die Wiener Volksoper, dann als Dirigent nach Prag, wo er von 1911 bis 1927 das Operngeschehen prägte. In dieser Zeit erreichten seine Opern Kleider machen Leute, Eine florentinische Tragödie und Der Zwerg ansehnliche Erfolge - und so kam Zemlinsky Ende der zwanziger Jahre als Dirigent an die Kroll- und die Staatsoper in Berlin. Für die Spielzeit 1932/33 schrieb er nicht nur den durchaus von Hindemith und Kurt Weill beeinflußten Kreidekreis, sondern betrieb auch endlich die Uraufführung des Traumgörge. Mit fast drei Jahrzehnten Verspätung sollte sie in Nürnberg stattfinden.

Gerade dort aber war 1933 an eine Zemlinsky-Uraufführung nicht mehr zu denken. Zemlinsky, der Lehrer Arnold Schönbergs und Alma Mahlers wurde zu den „entarteten“ Künstlern gerechnet; in Nürnberg wurden jetzt die Rassengesetze vorbereitet, nicht mehr „rassisch minderwertige“ Opernproduktionen. So dauerte es noch einmal fast fünf Jahrzehnte - 1980 wurde der Traumgörge in Nürnberg uraufgeführt. Allerdings mit erheblichen Kürzungen und gut 2.000 Fehlern im Notentext. Die wurden jetzt nach besten Kräften getilgt, damit im Bremer Theater die Musik in originaler Gestalt erklingen kann. Antony Beaumont, der Dirigent, hat sich zu echter Fleißarbeit bequemt (zuvor hatte Beaumont bereits Ferruccio Busonis unvollendeten Doktor Faust fertiggestellt).

Die Arbeit hat sich gelohnt. Dem 30jährigen Zemlinsky gelang damals im Wien der Jahrhundertwende eine wunderbar schwebende Musik mit feinsten Klangfarben und höchster dramatischer Spannung: keine radikal neutönende Partitur, sondern das Produkt einer Übergangszeit - unterwegs von Wagners Tristan zu BergsLyrischer Suite, vom späten Verdi zum musikalischen Expressionismus der zwanziger Jahre.

Der Traumgörge ist die Oper eines Außenseiters über einen Außenseiter. Die Anregung kam von Heinrich Heines drei kleinen Gedichten über den Armen Peter. Leo Feld schrieb ein Libretto für Zemlinsky - einen recht schwülen Text mit symbolischer Befrachtung und Kunstmärchenpathos. Doch taugt die Geschichte auch heute noch für gutes Theater, zumal die Fin-de-siecle-Musik den sich total verweigernden Jugendlichen nobilitiert. Er hat eine Menge Chancen, doch kann oder will er sie nicht nutzen. Die fesche Grete, Tochter des reichen Müllers, wird ihm vom rechtschaffenen Hans weggeschnappt - er hängt seinen Träumen nach, während der Rivale zur Sache geht.

Die Ausstattung der Bremer Produktion (Peter Werner/Ute Frühling) präsentierte keine fröhliche Landansicht, sondern eine Mehlfabrik in grauer Betonarchitektur der zwanziger Jahre. Der Regisseur Robert Tannenbaum wies Görge ein Stück Ödland zwischen Fundamentstümpfen als Lebensraum zu. Aus dem über Büchern Träumenden machte er einen Zögling der Medienkultur: Die Mutter erscheint ihm auf dem Bildschirm, die Träume kommen von den Reklamewänden. Die verführerische Wirkung geht von einem großen Poster in Blau und Weiß aus, das durch einen Schlitz in der Betonwand auf die Bühne kommt: Tropenhimmel und Brandung, Palmen und ein kühles Getränk, auf weißem Liegestuhl eine Göttin der Betörung. Sie ist es, die Görge zur Flucht in die weite Welt anstiftet: „Kennst du die Welt? Sonnenerhellt und wunderumsponnen! Unter wehenden Zweigen rauschen tiefe lebende Bronnen, auf bunten Gassen, nicht zu bannen, nicht zu fassen, jauchzt das Leben in Leiden und Wonnen.“

Doch es kommt anders als man denkt. Die Welt jauchzt wenig und bedeutet für Görge vor allem neue Leiden. Die tiefen Bronnen - das sind bei Robert Tannenbaum die Bierschwemmen; die sonnenerhellte und wunderumsponnene Welt ist eine Hinteransicht von Manhattan, ist Trostlosigkeit im Dickicht der Metropole. Elend der zwanziger Jahre auf Schritt und Tritt. Auch die Formen der politischen Organisation und des Revoltierens erinnern an diese Geschichtsetappe. Dieser Verlagerung der Handlungsebene deformiert den Märchencharakter der Geschichte vollständig. Der Regisseur übersah (oder unterschlug), daß es sich - wenn auch um ein modernes, so doch eindeutig - um ein Märchen handelt; um ein allegorisches Gebilde, nicht um ein Historien- oder Lehrstück.

Obwohl ihm die anderen Bewohner des elenden Wohnviertels Führungsqualitäten in den Abwehrkämpfen gegen die Verschlechterung der Lebensqualität zusprechen, verweigert sich Görge dieser Rolle; er findet zufällig privates Glück mit Gertraud, auch einer Außenseiterin. Die integriert sich in die zu kleinbürgerlicher Ruh und Frieden gelangenden Gesellschaft, Görge aber scheitert auch in dieser Beziehung. Robert Tannenbaum zeichnet ihn als Alkoholiker und läßt ihn in der Gosse untergehen.

Solch eine billige Lösung ist bedauerlich. Sie macht es sich mit den Träumen und Utopien zu einfach: Sie denunziert, wo sie analysieren und aktualisieren könnte. Robert Tannenbaum präsentiert eine Art von „Regie-Theater“, die dem Ansehen der Branche schadet. Er überträgt die Geschichte, Gott bewahre, nicht auf eine heutige Ebene - brisantes Theater ist nicht beabsichtigt; aber er verrückt einige Grundkoordinaten des Stückes, weil er mitgekriegt hat, daß sowas anderswo erfolgreich war - tieferer Sinn oder höhere Logik muß nicht walten, da es ja „nur“ um Theater geht.

Solcherart Hantieren mit einem problematischen Text und betördend schöner Musik ist zumindest fahrlässig. Vielleicht müßten die Theaterdirektoren dem Jüngling aus New York, der möglicherweise einfach in Unkenntnis gewisser (durchaus reflektierenswerter) abendländischer Kulturtraditionen handelt, ein wenig genauer auf die Finger sehen, wenn er sie mit einem Regie-Konzept beschwatzt. Vielleicht wollen einige Intendanten aber genau solche Naturalisierungskunst. Freilich steht sie im schärfsten Kontrast zur Bemühung um den musikalischen Urtext.

Frieder Reininghaus

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