Der neueste Tango von Berlin

■ Ein Unternehmer nach Noten / Der Berliner Bandoneonist Klaus Gutjahr stellt seine einzigartigen Instrumente fortan in Serie her / Ruf wie Maradona

Von Jürgen Schulz

Er tourte mit Wolf Biermann und Klaus Hoffmann, nahm Platten auf für Hannes Wader und Erika Pluhar. Aber nun hat der Berliner Tango–Enthusiast und Profimusiker Klaus Gutjahr sein bislang größtes Projekt in Angriff genommen: Der studierte Musiklehrer geht unter die Unternehmer und stellt seine Bandoneons, das Tangoinstrument schlechthin, zukünftig in Serie her. Früher hat der gelernte Fliesenleger aus Thüringen seine Bandoneons, die einzigen auf der Welt, die noch nach überlieferten Bauanweisungen zusammengesetzt werden, in der eigenen Wohnung produziert - in mühevoller Kleinarbeit. Schließlich erkannte er: „Entweder das läuft jetzt in Serie oder ich höre ganz damit auf.“ Zum Glück für die Musikwelt hat sich ein namhafter deutscher Musikinstrumentenhersteller bereiterklärt, bei Gutjahr einzusteigen. Bis es allerdings soweit war, mußte der 38jährige Kreuzberger von Fachmesse zu Fachmesse jetten, Verhandlungen mit den Chefetagen führender Musikkonzerne durchstehen sowie ein Existenzgründungsdarlehen beantragen, das er schließlich erhielt: „Man glaubt gar nicht, was an so einer Sache alles dranhängt“, stöhnt der Vollblutmusiker über den Seitensprung ins kapitalistische Lager. Für die Nachfrage nach Gutjahrschen Erzeugnissen dürfte gesorgt sein. Noch bevor der Berliner die Verbindung zwischen Kultur und Kommerz eingegangen war, erreichten ihn Anfragen aus tangoverrückten Ländern wie Finnland (!), Japan oder den Staaten am Rio de la Plata, wo die sinnlich–extravagante Schrittfolge zu Hause ist. In Argentinien gilt Gutjahr ohnehin als feste Größe. Seine Eigenbau–Konstruktionen mit dem authentisch klingenden Ton genießen dort den Ruf eines Diego Maradona. Italienische oder französische Instrumente werden hingegen von den Piazzolla, Binelli oder Mosalini (der auf einem Gutjahr–Bandoneon spielt!) rundweg abgelehnt, „weil sie zu synthetisch klingen“, weiß Klaus Gutjahr. „Folglich“, fährt er fort, „spielen die argentinischen Tangogrößen auf den ältesten Särgen“, die oftmals noch aus jener Zeit stammen, als deutsche Auswanderer nach dem Ersten Weltkrieg das akkordeonähnliche Instrument importierten. Sobald die „alten Särge“ jedoch ihren Geist endgültig aufgeben, gerät auch die ganze Tangokultur in Uruguay oder Argentinien in Gefahr. Von daher sind auch die unglaublichen Reaktionen, die Gutjahr durch sein Auftreten in Buenos Aires vor Jahren auslöste, durchaus verständlich: Zufällig hatte er einem Rundfunk–Moderator von seinem Beruf erzählt und mußte postwendend über den Sender Kostproben seines musikalischen Könnens liefern. Im Anschluß an die Sendung wurde er wie ein Messias gefeiert. Wildfremde Menschen fielen ihm unter Tränen um den Hals.Gutjahr: „Die konnten sich einfach nicht vorstellen, daß ein Exot aus Europa Bandoneon spielen kann.“Seitdem gilt sein Hauptaugenmerk Argentinien und der bedrohten Musikkultur. 300 Bandoneons will Gutjahr jährlich herstellen, die meisten davon sollen an den Rio de la Plata gehen, um den Tangeros aus ihrer Instrumenten–Bredouille zu helfen. Nicht nur das. Neben dieser Eliteförderung plant Gutjahr, seine Bandoneons derart kostengünstig zu fertigen, daß auch sozial Schwache - besonders in den Schulen - in den Genuß der Berliner Fabrikate kommen können. Denn, so der Neu–Unternehmer, „was nützt es, wenn ich Bandoneons nur für die Reichen liefere. Das Instrument ist ein Volksinstrument, der Tango ein Volkstanz, eines der wenigen Vergnügen der Armen.“ Diese Art der Kulturförderung von unten bringt es mit sich, daß Gutjahr hart kalkulieren muß. Die (Arbeits–)Löhne liegen in Deutschland weit über dem argentinischen Niveau. Ein Instrument, für das man in unseren Breiten 5.000 Mark hinblättern muß, wird drüben unerschwinglich. Gutjahr ist sich dessen sehr wohl bewußt, aber eine Verlagerung der Produktion nach Argentinien kommt für ihn nicht in Frage: „Die sozialen und wirtschaftlichen Zustände dort sind katastrophal. Außerdem weiß man nie, ob das Militär putscht.“ So wird Gutjahr, um Kosten zu sparen, auch weiterhin die Stimmplatten, die eigentliche Seele des Instruments, nach originalen Vorlagen fabrizieren. Dank seines handwerklichen Geschicks versteht es der gelernte Fliesenle ger, die tonangebenden Durchschlagzungen auf den hundertstel Millimeter präzise in die Zink– Stimmplatte einzufügen. Für die Holzarbeiten wird auch weiterhin der fränkische Orgelbauer Werner Baumgartner verantwortlich zeichnen, ein langjähriger Freund Gutjahrs, für den der Meister schon mal nach Bayreuth fährt, um - als Kompensation - Fliesen zu legen. Den letzten Schliff erhalten die Bandoneons Marke Gutjahr in Westdeutschland, wo sie in den Werkstätten des Musikinstrumentenherstellers zusammengebaut werden. Einen finanziellen Reibach verspricht sich der Berliner Hinterhoftangero nicht. Ohnehin, versichert Gutjahr, habe er in den 15 Jahren als Bandoneonbauer nur investiert. Ein Nutznießer war beispielsweise besagter Tango– Star Juan Jose Mosalini, der von seinem Kreuzberger Kollegen ein Bandoneon im Marktwert von rund 50.000 Mark geschenkt bekam. Desungeachtet steht Gutjahrs kulturelle Hilfsaktion in einer erwähnenswerten deutsch–südamerikanischen Tradition. Es waren thüringische Bandoneons aus den Häusern Meinel und Arnold (heute: VEB Klingenthal), die im Tango den Ton angaben. Selbst das Bandoneon geht auf die Erfindung eines Deutschen zurück: Der Krefelder Heinrich Band entwickelte es im Jahre 1840.