piwik no script img

Der neue Herr über Westbeirut

■ General Ghazi Kanaan ist Chef des syrischen Geheimdienstes im Libanon / „Die Milizen kommen nie wieder“, versucht er das Vertrauen der Beiruter Bevölkerung zu gewinnen / Bisher hat jedoch noch keine fremde Armee das Chaos der Stadt unbeschadet überstanden Von Joseph Kaz und Petra Groll

Beirut (taz) - Drei Wochen sind vergangen, seit etwa 7.000 syrische Soldaten in den Westteil der libanesischen Hauptstadt einmarschiert sind, um dem Chaos, der Anarchie und der Herrschaft der Milizen ein Ende zu setzen. „Erklärt den Leuten: Die Milizen kommen nie wieder, das ist ein für alle mal vorbei“, sagt General Ghazi Kanaan, der Chef des syrischen Geheimdienstes im Libanon, der am 19. Februar ein Telegramm in die syrische Hauptstadt Damaskus sandte und Präsident Assad aufforderte, seine Soldaten zu schicken. „Es war nicht unsere Absicht, zu intervenieren, aber dieses Drama, diese brennende Stadt, Kinder, die nicht mehr wußten, wo ihre Eltern waren, hungernde Menschen in Kellern und Bunkern .. das konnte nicht so weitergehen, das konnten wir nicht länger mitansehen. Es wäre anormal und unmenschlich gewesen, den Attentaten, den Entführungen kein Ende zu bereiten.“ Mittlerweile sind es circa 10.000 syrische Soldaten geworden, die Westbeirut kontrollieren. Die Fäden vor Ort zieht der ehemalige Artillerist, der 1942 im nordöstlichen syrischen Bergland geboren wurde, unweit des Heimatdorfes des syrischen Präsidenten Assad. Beide gehören auch der in Syrien herrschenden religiösen Minderheit der Alawiten an. Nach dem Studium arabischer Literatur an der Damascener Universität und Arbeit im zivilen Bereich der regierenden Baathpartei wechselte Kanaan auf Veranlassung der Geheimdienste, die sich ihre Kandidaten selbst auswählen, in seinen jetzigen Aufgabenbereich. Seine erste Mission als Geheimdienstler führte Kanaan ins nordsyrische Homs, wo er mit ei ner ganzen Reihe Libanesen aus Tripoli, der Bekaa–Ebene und Beirut zusammenarbeitete. Der Wechsel ins Nachbarland fiel ihm nicht schwer. Die Mentalität der Libanesen, die politischen Verhältnisse des Landes seien ihm schon vertraut gewesen, meint der überaus exclusiv gekleidete Mann heute im Rückblick. Kanaan „befriedete“ nacheinander die Chri stenstadt Zahle in der Bekaa– Ebene, die nordlibanesische Stadt Tripoli und kam im Juli 1986 in den Westteil Beiruts, als ein erster Schub militärischer Beobachter den Frieden in der Stadt sichern sollte. Im Hotel Beaurivage im Stadtteil Ramlet–el–Beida hat er sein Hauptquartier bezogen, unweit seines Hauses. An die 200 Besucher kommen täglich in sein modern und großzügig eingerichtetes Domizil. Der General hält viel vom direkten Kontakt mit seinen Leuten, seien es Informanten oder einfache Soldaten, die in den Straßen Westbeiruts Dienst tun. Bei einer Inspektionstour fragt er die Männer, ob sie mit ihren Kollegen von der libanesischen Armee zurechtkämen und ob sie mit ihrem Sold zufrieden seien. Und immer wieder mahnt er, sich der Bevölkerung gegenüber freundlich und höflich zu verhalten. Die syrischen Soldaten durchsuchen Autos und Wohnungen nach Waffen, forschen nach gestohlenen Fahrzeugen und besetzen Wohnungen. Sie haben die Bevölkerung Westbeiruts zur Mitarbeit aufgerufen, aber: „Die Leute kommen nicht zu uns und erzählen, was sie wissen. Sie befürchten, daß die Milizen eines Tages wieder das Sagen haben und es ihnen dann bitter heimzahlen“, beschwert sich einer von Kanaans Männern. Die einzige Möglichkeit für das Ende der Milizherrschaft sieht der General freilich auch nur in einer politischen Lösung der libanesischen Krise. Dazu gehöre die Neuverteilung der Staatsgewalt und der Abschaffung des politischen Konfessionalismus zugunsten der bisher unterrepräsentierten moslemischen Bevölkerung. Syrien spielt in den Augen Kanaans eine vermittelnde Rolle auch gegenüber den Christen, das ist im günstigsten Fall ein Understatement, aber offensichtlich gefällt Kanaan dieses Image: „Nicht die Libanesen sind schlecht“, sagt er. „Es mangelt ihnen nicht an Nationalbewußtsein, es fehlt eine verantwortungsbewußte politische Führung, ein Staat, der seine Bevölkerung schützen kann. Viele Libanesen sind zu Fremden im eigenen Land geworden, einige Regionen sind jahrelang nicht und versorgt worden. Doch wir haben schon eine Menge geschafft, es wird nur noch punktuell Probleme geben, die wir lösen werden.“ Auch wenn Kanaans bisherige Karriere erfolgreich war, ist diese Zuversicht bisher eher als Zweckoptimismus zu bezeichnen. Den libanesischen, allem voran den Beiruter „Sumpf“ hat bisher noch keine fremde Armee unbeschadet überstanden. Die syrische Armee mußte sich bereits einmal zurückziehen, die Israelis schafften es nicht, die unberechenbare Stadt unter Kontrolle zu bekommen, und auch die italienischen, französischen und US–amerikanischen Kontingente der multinationalen Friedenstruppen scheiterten. Die Konflikte sind abzusehen. Siehe auch Seite 8

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen