■ Der moderne Frauenkörper und seine zukünftige Stütze: Schweizer Feinripp-Reformation
Die grelle Hochgebirgssonne bescheint eine im Schnee hingelagerte nescafébraune Schönheit. Nackt bis auf das schneeweiße Mieder posiert sie vor dem schroffen Felsmassiv des Matterhorns. Eine Kulisse von grandioser outdoor-credibility, wie geschaffen für die Präsentation einer neuen Unterwäschekollektion. Und der Schriftzug darunter läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Zwischen mich und meine Zwinglis lasse ich nichts kommen“, flötet das schmucke Alpenmädel in aufreizender Pose.
Die hart ausgeleuchtete Schwarzweißfotografie ist Teil einer Werbekampagne, die demnächst in Modezeitschriften, auf Litfaßsäulen und Plakatwänden zu sehen sein wird. Der Aufmerksamkeitsfaktor ist hoch, das Medieninteresse vorprogrammiert. Gute Voraussetzungen also für den schweizerischen Trikotagentycoon Zwingli, sein bislang eher betuliches Schlüpfer-Image abzuschütteln und in die erste Liga der Underwear-Aristokratie aufzusteigen.
„Calvin Klein hat es uns allen vorgemacht“, schwärmt Bernhard Toggenburger, der jugendlich wirkende Chefdesigner des eidgenössischen Textilherstellers, vom Erfolg des New Yorker Modemoguls. Dieser verficht seit den 80er Jahren eine schnörkellos unkomplizierte, „calvinistische“ Unterwäschephilosophie und konnte damit den damals weltweit geächteten Feinripp wieder salonfähig machen. „Was Calvin für die Unterhose, ist Zwingli für das Mieder.“
Der Wonderbra-Erfolg? Ein Wetterleuchten!
Wenn Toggenburger auf den reformatorischen Imperativ der Textilmanufaktur aus dem Berner Oberland zu sprechen kommt, gerät er ins Schwärmen. „Der Erfolg des Wonderbra war nur ein kurzes Wetterleuchten, verglichen mit der Revolution, die die neuen Zwinglis im Miedersektor einläuten werden!“ Fischbeinkorsettagen, knielange Liebestöter, Mieder mit dem miefigen Image eines Mädchenpensionats der Jahrhundertwende gehören, glaubt man dem begeisterten Vortrag des Chef-Zwinglianers, endgültig der Vergangenheit an. „Die Grundidee des Mieders ist zeitlos. Wir mußten sie nur von dem muffigen Modergeruch der Moden-Mottenkiste befreien. Und was Sie hier sehen“, mit leuchtenden, enzianblauen Augen blättert er im Katalog, „ist das Rebirthing eines Klassikers, der schon bald zum Basic-Body- Equipment jeder figurbewußten Frau gehören wird.“
Einwände bezüglich der doch recht anachronistisch anmutenden Zwangsformung des idealen Frauenkörpers wischt Toggenburger mit einer wegwerfenden Geste vom Tisch. Zu oft schon hat er diese Kritik gehört, zu oft schon mußte er die gleichsam festgezurrten Vorurteile gegenüber Miedern widerlegen. Als wolle er sagen, sehen Sie her, das Ergebnis gibt mir doch recht, drückt er dem Miederskeptiker den neuen Sommerkatalog in die Hand und offenbart ihm sein fundamentalistisches Credo: „Der moderne Frauenkörper braucht die Stütze einer stabilen, hochelastischen und witterungsunabhängigen High-Tech-Korsettage.“ Was läßt sich dagegen schon sagen? Der Mann sieht offenbar eine von der Schweiz kommende, miedergestützte neue Weltordnung heraufdämmern.
Ohne dem eidgenössischen Textilpuristen zu nahe treten zu wollen – aber seine zwinglieske Obsession scheint ihm doch ein wenig den Blick für die Möglichkeiten des Marktes zu verstellen: wenn nämlich erst der neugegründete Eisenacher Wäschetrust mit seinen Original Luthers Leibbinden den Miedermarkt von Osten her aufzurollen sich anschickt, dann werden sich alle anderen Mitbewerber sehr warm anziehen müssen. Rüdiger Kind
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