: Der letzte Rest Freiheit
■ Freies Radio in der Kommerzfunkwelt
Seit in der Bundesrepublik Kabelkanäle und Ätherfrequenzen für sogenannten privaten Rundfunk geöffnet wurden, tummeln sich zahlreiche Radios auf den neuen Wellen. Das Spektrum reicht von reinen Kommerz-Sendern bis zu Radios mit alternativ buntem, kritischem Anspruch. Ehemals freie Radios unterwerfen sich dem Diktat der Verkäuflichkeit von Sendezeit, ohne jedoch allzu viel Abstriche an den Programmansprüchen zu machen. Im Rundfunkbereich ist die Gegenöffentlichkeit mittlerweile etabliert und legalisiert, auch wenn Probleme mit dem Staatsschutz und der Polizei zum Redaktionsalltag gehören. Die Zeiten des heimlichen Sendens sind vorbei, der Weg vom „Protestfunk zum Medienunternehmen“ scheint vorgezeichnet.
In ihrem Buch Das freie Radio zeigt Ursula Ott, wie in Frankreich dieser Weg beschritten wurde. Sie zeichnet die Entwicklung der privaten Lokalradio-Szene von Mai 1977 bis heute nach. Damals strahlte 'Radio Verte Paris‘ seine erste Sendung aus, während kurz darauf 'Radio Verte Fessenheim‘ über 37 Lokalsender im Elsaß, der Schweiz und der Bundesrepublik sendete. Das Radio als Sprachrohr von Atomkraft-Gegnern und regionalen Minderheiten war den damals regierenden Giscardisten ein Dorn im Auge, doch konnten sie sich dem Trend nicht verschließen und kündigten die Gründung von Lokalstationen im Rahmen des staatlichen 'Radio France‘ an, die jedoch noch lange auf sich warten ließen.
Als im Mai 1981 der Sozialist Mitterrand zum Präsidenten gewählt wird, überschlagen sich die Ereignisse. Zahlreiche neue Radios entstehen, weil man ein Mediengesetz erwartet, das die lokalen Stationen legalisieren soll. Von der Legalisierung der privaten Lokalfunkstationen bis heute ergibt das Bild eine fast typische Entwicklungslinie, denn nach der Legalisierung der Werbung beginnt der Siegeszug der großen kommerziellen Musikradios. Die kleinen engagierten Radios, deren Zahl auf etwa 300 geschätzt wird, können sich vor allem nur dank der Unterstützung ihrer Hörer halten. Die Tendenz zur Monopolisierung und Netzbildung schreitet fort, durch das private Fernsehen erwächst den Radios zudem ein populärer Konkurrent. Die französische Radioszene zeigt so deutlich die Folgen der Legalisierung ehemals freier „Piratenradios“.
Aber auch in einer kommerzialisierten Medienlandschaft wie den USA gibt es Nischen, in denen „public broadcasting“ betrieben wird. Der Berliner Journalist Ingo Lamberty schildert in seinem Buch am Beispiel der „Pacifica Foundation“, einem nichtkommerziellen Sendernetz, Freud und Leid der freien Radios in den USA. Denn trotz aller Negativ -Schlagzeilen, die uns hierzulande über die Medienszenen in den Staaten erreichen, gibt es dort „ein nicht zu unterschätzendes Bedürfnis nach einem werbefreien, intelligenten und informativen Rundfunk, nach Sendern also, bei denen nicht als einzige Nachrichtenquelle 'ap'-Meldungen verlesen werden. So haben vor allem in den Groß- und Universitätsstädten die Public Radios eine große Stammhörerschaft, die auch bereit ist, für diese Programme Geld auszugeben.“ Zu diesen „listener-sponsored“ Radios gehören auch die fünf Stationen der 1946 gegründeten Pacifica Foundation, die sich zu etwa 60 Prozent aus Hörer -Abbonnements finanzieren.
Die Stationen des Netzes praktizieren einen Minderheitenjournalismus, dem Ausgewogenheit in binnenpluralistischem Sinne fremd ist. Man begreift sich als aktiven Teil des amerikanischen Mediensystems, der durch seinen außenpluralistischen Ansatz die „freedom of speech“ gewährleistet. Bei politischen Konflikten erhält die Berichterstattung der Public Radios eine besondere Bedeutung. Lamberty zeigt dies unter anderem am Beispiel der Berichterstattung über den Atomunfall in Harrisburg auf. Aus dieser Art der Aufbereitung von Themen erwachsen natürlich Konflikte mit den staatstragenden Institutionen, aus denen die Pacifica Foundation vor allem dank der Unterstützung durch ihre Hörer, aber auch durch die liberale US -Öffentlichkeit gestärkt hervorgegangen ist.
Ursula Ott und Ingo Lamberty schildern in ihren Werken nicht nur die Situation der freien Radios in Frankreich und den USA, sondern sie gehen in gesonderten Kapiteln auch auf die jeweiligen Mediensysteme und die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der freien Radioszene ein. Neben der rundfunkpolitischen Entwicklung zeigen sie vor allem auch einen Blick in das Innenleben, die Organisationsstrukturen der nichtkommerziellen Sender. Auch wenn vieles nicht auf die Situation hierzulande übertragbar ist, werden doch zahlreiche Anregungen vermittelt, die einen wichtigen Beitrag zur Diskussion über die Entwicklung des Hörfunks liefern. Zum einen weil Lamberty zeigt, wie freies Radio unter den Bedingungen einer kommerziellen Medienlandschaft möglich ist, und zum anderen weil Ott am Beispiel Frankreich zeigt, wohin die Reise in einer zunehmend kommerzialisierten Rundfunkszene geht. Ihre am Schluß des Buches erhobenen zehn Forderungen für eine bürgernahe Hörfunkpolitik erhalten so nicht nur für Frankreich programmatischen Charakter.
Lothar Mikos
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