: Der lange Weg zum Bleistift
■ n Hamburgs angehende Literaten üben heimlich und haben dazu Gruppen und Workshops
Gleich läßt er die Hosen runter. Gleich zeigt er alles, was er zu bieten hat, sagt seine Wahrheit – liest seine Texte vor. Die Hände sind schon lange schwitzig, der Mund wird trocken, schon seit einer Stunde wird der Herzschlag fremd.
Für alle, die schreiben, ist der erste Schritt schwierig, erfordert Mut, innere Ruhe und Selbstvertrauen. Die Diskrepanz ist ja auch immens: da sitzen Menschen in ihren Zimmern und schreiben sich auf, und sollen sich damit dann offenbaren. Doch irgendwann muß es sein. Jeder, der mit den Worten auf dem Papier weiterkommen will, muß sich der Kritik stellen.
Im vorbelasteten Familienkreis, unter Freunden, oder bei Veranstaltungen wie dem Poetry Slam im Literaturhaus, die einen Schritt weitergehen. Hier gibt es die Kritik durch die Öffentlichkeit, durch Fremde, durch ein Publikum.
Etwa 600 Hamburgerinnen und Hamburger möchten gerne schreiben oder schreiben schon, schätzt Reimer Eilers, Schriftsteller und Landesvorsitzender des Schriftstellerverbands in der IG Medien. Nicht nur als Poetry Slam-Veranstalter liegt ihm der Nachwuchs am Herzen: „Ich sehe es schon als meine Aufgabe an, auch den Schriftstellerverband zugänglicher zu machen. Es ist eine allgemeine Tendenz, daß die Leute immer älter werden, ehe sie ein erstes Buch veröffentlichen können.“
Veranstaltungen wie der Slam bieten die Chance, Leute mit ihrer Arbeit kennenzulernen, die sich irgendwo im weiten Feld zwischen Poesiealbum und erster Veröffentlichung aufhalten.
Schreiben als Instrument zur Verarbeitung des eigenen Daseins, als Hilfsmittel zum ich oder als Karriererampe – der Gestus des Verfassens nährt sich aus den verschiedensten Antriebsquellen. „Von den Menschen, die sich mit dem, was sie schreiben in die Öffentlichkeit wagen – und sei es die kleine Öffentlichkeit eines Slams – hoffen sicher viele, irgendwann in den Literaturbetrieb einzusteigen.“
Doch egal, ob für den Eigenbedarf oder die große Nachwelt: Wenn Literatur zu entstehen beginnt, dann oft nicht ganz im Alleingang. „Zirkel haben hier eine große Bedeutung, die ersten Schritte werden im privaten oder halbprivaten Rahmen gemacht“, meint Eilers. „Es gibt Gruppen an der Uni, in den Stadtteilen, Freundeskreise, die sich erst selbst durch die Texte arbeiten und sich manchmal dann auch gemeinsam in die Öffentlichkeit wagen.“
Das andere wichtige Standbein angehender Autorinnen und Autoren sind Workshops, Seminare – der deutsche Ersatz für die in US-Amerika üblichen Kurse für „creative writing“. Profis geben Neulingen hier die Chance, sich unter wissender Anleitung intensiv mit eigenen und fremden Texten zu befassen, sich Kritik-Kriterien anzueignen, auch Selbstkritik zu entwickeln. „Es ist nicht leicht, sich mit Kritik auseinander zu setzen“, meint Eilers, der zu den regelmäßigen Anbietern solcher Workshops gehört und in diesem Monat einen neuen startet. „Manchmal bleiben Leute weg, nachdem ihr Text besprochen wurde, aber das ist sehr kurzsichtig.“ Daß einige von denen, die mal als Anfänger bei ihm einen Workshop besucht haben inzwischen auch Literaturstipendien und -preise einstreichen konnten, will er nicht auf sich beziehen.
Trotzdem kann er umgehen mit der Rolle des Fördernden. „Das Potential ist da!“ meint er.
Thomas Plaichinger
Allein in diesem Monat gibt es eine Handvoll Schreibwerkstätten. Infos bietet unter anderem „Literatur in Hamburg“.
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